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Zu den Verbindungen von Moses Mendelssohn und seiner Familie im 18. Jahrhundert in die Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz

Gasiecki, Joachim

Der jüdische Gelehrte Moses Mendelssohn (auch Moses ben Menehem-Mendel oder Moses Dessau), deutscher Philosoph und hervorragender Vertreter der Aufklärung (1729 – 1786), verbrachte den größten Teil seines Lebens in Berlin. Er hatte Beziehungen in beide Herzogtümer Mecklenburg, besonders in die Residenzstadt Neu-Strelitz. Es ist dem Autor Siegfried Silberstein zu verdanken, dass wir über diese Beziehungen in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts einige Auskunft geben können. Durch Forschungsarbeiten im „Strelitzer Hauptarchiv“ war es Silberstein möglich, verschiedene Dokumente mit aufschlussreichen Fakten zusammenzustellen, wenn auch zum Teil ungeordnet und mit einigen falschen Jahreszahlen. Es lohnt sich aber, für die heimatgeschichtliche Forschung die vorhandenen Materialien aktuell aufzubereiten. Silberstein war fast 2 ½ Jahrzehnte lang eine herausragende Persönlichkeit des Judentums in Mecklenburg-Schwerin. Er wurde am 25.01.1866 in Groß Langiewnik / Łagiewniki Wielkie in Schlesien geboren. Nach Schulbesuch, Studium und 1893 erfolgter Ordinierung zum Rabbiner trat er das Rabbineramt in der jüdischen Gemeinde in Elbing/Elbląg an, wo er 17 Jahre lang wirkte. 1910 wurde er zum Landesrabbiner von Mecklenburg-Schwerin mit Dienstsitz in Schwerin berufen. Nach Verlegung des Rabbinats lebte er ab 1925 bis zu seinem Tod in Rostock. Er war Mitglied der „Vereinigung der liberalen Rabbiner Deutschlands“. In dieser Funktion und in seiner gesamten Tätigkeit bemühte er sich um den Zusammenhalt des Judentums und besonderes um den Ausgleich zwischen dem liberalen Judentum und den orthodoxen jüdischen Einflüssen, die durch eine relativ starke jüdische Einwanderung aus osteuropäischen Staaten nach Deutschland hervorgerufen wurden. Silberstein war historisch interessiert, seine Schwerpunkte waren die Beschäftigung mit dem Philosophen Moses Mendelssohn sowie mit der Geschichte des Judentums in Mecklenburg.[1] Mit dem Machtantritt des Nationalsozialismus wurden antijüdische Maßnahmen auch hier in Mecklenburg ergriffen. Gleich 1933 wurde dem Landesrabbiner der [Seite 2]Status eines Landesbediensteten aberkannt. Da die jüdische Landesgemeinde finanziell nicht in der Lage war, dem Rabbiner Gehalt zu zahlen, sah sich Silberstein gezwungen, im März 1934 in den Ruhestand zu treten. Im Jahr 1935 wurde er von den Nationalsozialisten aus dem Mitgliederverzeichnis des „Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde“ gestrichen, weil er Jude war. Bereits am 08.08. des gleichen Jahres verstarb er in Rostock.

Wir schließen uns in diesem Aufsatz einer Bemerkung von David Friedländer, einem Vertreter der nach Mendelssohn folgenden Generation jüdischer Aufklärer an, der über Mendelssohn sagte: „Was von unserm Weltweisen äußerlich in der großen Welt geglänzt; was er, als deutscher Schriftsteller, als Mitbildner der Literatur, als Schöpfer der wahren Kritik geleistet hat, gehört nicht zu unserem Gegenstand.“[2] Wir beschränken uns auf einige wenige Fakten seines Lebens und die feststellbaren Kontakte zu Mecklenburg.

Moses Mendelssohn und seine Familie und die Kontakte nach Strelitz

Wenden wir uns Moses Mendelssohn selbst zu. Geboren am 06.09.1729 in Dessau, folgte er bereits im Alter von 14 Jahren 1743 seinem damaligen Lehrer Fränkel nach Berlin. Unter ärmlichen Verhältnissen lebend, unterstützt von Freunden und Förderern, bildete er sich – zum Teil im Selbststudium – vielseitig und wurde bereits in den 50er Jahren des 18. Jahrhunderts zu einem Vertreter der Aufklärung, besonders in Form der jüdischen Haskala. Anfang der sechziger Jahre war er ein anerkannter Lehrer und Gelehrter in Berlin. Seine ökonomisch-finanzielle Situation hatte sich stabilisiert. Er war durch seinen Freund und Förderer, den Seidenhändler Isaak Bernhard, in den 50er Jahren in dessen Betrieb geholt und 1861 zum Geschäftsführer der Firma gemacht worden. Moses Mendelssohn hielt nun zu Beginn seines vierten Lebensjahrzehnts den Zeitpunkt für gekommen, seine Lebensverhältnisse zu stabilisieren und eine eigene Familie zu gründen. Sich in der Berliner Frauengesellschaft umzusehen, hielt er nicht für geboten, obwohl ihm durchaus verschiedene Avancen gemacht wurden. Er vertraute mehr dem Zufall, und der war ihm tatsächlich [Seite 3] wohlgesinnt. Im Mai 1861 besuchte er seinen Freund, den Augenarzt Aaron Gumpertz, der zu dieser Zeit bei seinen Verwandten, der Familie des Kaufmanns Abraham Gugenheim in Hamburg, wohnte. Dort lernte er die Tochter des Hausherrn, Fromet Gugenheim, kennen und war von ihr so positiv beeindruckt – und sie von ihm wohl auch – dass beide sich miteinander verlobten, obwohl sich ihr Vater zu diesem Zeitpunkt auf einer Geschäftsreise im Ausland befand und von der hier entstandenen Liaison noch gar nichts wusste! Sie verabredeten – ohne eine zu dieser Zeit übliche Heiratsvereinbarung oder einen direkten Ehevertrag abschließen – nach einem Jahr Verlobungszeit die Ehe miteinander einzugehen.

Am 22.06.1762 fand ihre Hochzeit im Hause der Gugenheims in Hamburg statt. Da die Hochzeit zur Zeit des preußischen Krieges gegen Sachsen erfolgte, war eine staatliche Sonderabgabe zu zahlen, woraus später die Familienlegende entstand, man hätte zwangsweise teures Meißner Porzellan erwerben müssen, um es dann unter hohem Verlust im Ausland zu verkaufen.

Moses Mendelssohn 1768

Gemälde von Christian Bernhard Rode.
Das Bild befand sich seit 1768 in einer von J. W. L. Gleim in Halberstadt eingerichteten Ausstellung, wurde von dort 1933 von den Nationalsozialisten entfernt und ist seitdem verschollen.

[Seite 4] Das junge Paar lebte in der Folgezeit in Berlin, wo sich nun für ein Vierteljahrhundert ihr Lebensmittelpunkt befand. Es war eine Liebesheirat, bei der es auf äußere Umstände wenig ankam. In einem Beitrag in der „Welt“ vom 18.06.2012 schreibt der Berichterstatter Uwe Bahnsen:

„Als Moses Mendelssohn um Fromet Gugenheim warb, war er nach seiner äußeren Erscheinung nicht gerade der Typ des stattlichen Mannes in den besten Jahren. Sein Sohn Joseph (das Paar hatte zehn Kinder, von denen sechs das Kleinkindalter überlebten) porträtierte ihn später so: ‚Er war von kleiner Statur, verwachsen in den Schultern, die einen starken Höcker bildeten; er stotterte oft im Sprechen. Im Gegensatz zu dieser misslichen Leibesgestalt war der Kopf sehr schön gebildet, und alle seine Gesichtszüge verkündeten einen hohen Geist und ein herrliches Gemüt.‘ Es war wohl vor allem der menschliche Reichtum, der ihn auszeichnete, mit dem er Fromet Gugenheim für sich gewann, als er ihr in einem eher unromantischen Ambiente, einem nicht sonderlich inspirierenden Gartenhaus, seine Liebe gestand.“

Der Schriftsteller Bertold Auerbach (eigentlich Moses Baruch Auerbacher, 1812-1882) – so wird auf einer Internetseite der Mendelssohn-Gesellschaft berichtet – hat die Begebenheit um den Beginn ihrer Liebesgeschichte anekdotenhaft verarbeitet. Der bereits verliebte Moses, erzählt Auerbach, habe gespürt, dass sein Buckel die junge Frau verschrecke und sich von ihr verabschieden wollen. „Endlich, da dieser das Gespräch geschickt so gewendet, fragte sie: ‚Glauben Sie auch, dass die Ehen im Himmel geschlossen werden?‘ Mendelssohn daraufhin: ‚Gewiss, und mir ist noch was Besonderes geschehen. Bei der Geburt eines Kindes wird im Himmel ausgerufen: der und der bekommt die und die. Wie ich nun geboren wurde, wird mir auch meine Frau ausgerufen, aber dabei heißt es: sie wird, leider Gottes, einen Buckel haben, einen schrecklichen. Lieber Gott, habe ich da gesagt, ein Mädchen, was verwachsen ist, wird gar leicht bitter und hart, ein Mädchen soll schön sein, lieber Gott, gib mir den Buckel, und lass das Mädchen schlank gewachsen und wohlgefällig sein.‘ Hier soll ihm Fromet um den Hals gefallen sein.“

Im Juni 1761 schreibt Moses Mendelssohn an seinen Freund G. E. Lessing die folgenden Worte über Fromet:

„Unser Briefwechsel ist lange genug unterbrochen gewesen, ich muss ihn nunmehr erneuern. Ich würde nimmermehr so lange haben schweigen können, wenn ich nicht eine Reise nach Hamburg getan hätte, die mich in tausend Zerstreuungen verwickelt hat. Ich habe das Theater besucht, ich habe Gelehrte [Seite 5] kennen lernen, und, was sie nicht wenig befremden wird: ich habe die Torheit begangen, mich … zu verlieben. … Das Frauenzimmer, das ich zu heiraten Willens bin, hat kein Vermögen, ist weder schön noch gelehrt und gleichwohl bin ich verliebter Geck so sehr von ihr eingenommen, dass ich glaube, glücklich mit ihr leben zu können.“

Am 29.07.1761 sendet Moses Mendelssohn seiner Braut die folgenden Worte:

„Allerliebste Fromet! Ich habe in Ihres Vaters Schreiben eine Entdeckung gemacht, die mich nicht wenig vergnügt. Der gütige Mann versichert mich, seine Tochter Fromet sei eben so schön wie tugendhaft. Was meinen Sie? Kann man das einem ehrlichem Mann auf sein Wort glauben? Der gute Herr Abraham Gugenheim muss doch wissen, dass die Philosophen auch gern was Schönes haben. Doch das mag er mir verzeihen. Ich kenne seine Fromet besser als er. Sie ist schön, aber so schön als sie tugendhaft ist, so schön nicht, als sie zärtlich ist. Ich beneide Sie, liebste Fromet! um die glückliche Art, wie sie ihre sanfte Liebe auszudrücken wissen.“

Fromet Gugenheim Ehefrau von Moses Mendelssohn

Fromet Gugenheim, die Ehefrau von Moses Mendelssohn

[Seite 6] Auf der erwähnten Webseite der Mendelssohn-Gesellschaft wird über Fromet Mendelssohn unter der Überschrift „Die Chefin aus Altona“ weiterhin geschrieben:

„Als Mutter; Haushaltschefin und Gastgeberin ist Fromet die starke, kluge Persönlichkeit hinter dem Philosophen, der als Fabrikant und Gelehrter verschiedenste Geschäfts- und Gesprächspartner, Schüler und Bekannte anzieht, dabei aber die eigenen Kräfte überstrapaziert. Sie organisiert den Haushalt, in dem aufgeklärte Hauslehrer und Verwandte mit den Mendelssohns leben, sie achtet auf die Kasse und soll für Gäste, die in diesem Freiraum ihre Meinung austragen lernen, die Snacks – Mandeln und Rosinen – gelegentlich abgezählt serviert haben.“

Moses Mendelssohn war sein Leben lang an vielen persönlichen, wissenschaftlichen und geschäftlichen Freundschaften und Beziehungen interessiert. Sein veröffentlichter Briefwechsel zeugt davon und verweist auf eine ganze Reihe solcher Kontakte auch nach Mecklenburg. Private und geschäftliche Reisen führten ihn zu so manchen Orten in deutschen Landen, in Mecklenburg besonders nach Strelitz, der Residenz der herzoglichen Familie von Mecklenburg-Strelitz.

Synagoge Alt-Strelitz 1914

Die Mitte 1763 in Alt-Strelitz in der Brandenburger Straße eingeweihte Synagoge (in einer Aufnahme aus dem Jahre 1914)

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Jüdischer Friedhof Alt-Strelitz

Nahe der Synagoge in Alt-Strelitz befand sich am Alexanderplatz der jüdische Friedhof (heutige Gedenkstätte an dieser Stelle)

Hier in Strelitz hatten sich zwei alte Bekannte von Moses Mendelssohn niedergelassen. Wann, wo und wie diese Bekanntschaften und Freundschaften entstanden sind, vermögen wir nicht konkret zu sagen, mit großer Wahrscheinlichkeit jedoch bevor die beiden Kaufleute sich in Strelitz niederließen. Es handelt sich um Moses Lemelson und Nathan Meyer.

Von seinen Freunden ist sicher zuerst Nathan Meyer hervorzuheben, den Moses Mendelssohn in einem Brief vom 27.04.1784 „als meinen sehr speziellen und innigst geliebten Freund, herzoglicher Hofagent zu Strelitz“ bezeichnet.[3] Es gibt Hinweise darauf, dass Moses Mendelssohn bereits seit längerer Zeit mit Nathan Meyer in geschäftlicher Beziehung stand, was ja durchaus möglich war, schließlich betrieb Mendelssohn auch einen eigenen Handel mit Seidenwaren. Nathan Meyer erhielt die Anerkennung als Schutzjude [Seite 8] am 30.07.1766.[4] In diesen Jahren bemühte sich der Herzog von Mecklenburg-Strelitz, besonders durch Genehmigung der Niederlassung geeigneter jüdischer Personen und ihrer Familien, die wirtschaftliche Kraft von Alt-Strelitz zu sichern, die nach der Verlegung des landesherrlichen Sitzes nach Neustrelitz ab 1733 im Sinken begriffen war. Am 24.09.1775 wird Nathan Meyer zum Kammeragenten, der Sache nach zum Hausbankier, ernannt, seine Privilegien wurden damit natürlich auch auf Neustrelitz ausgeweitet. Ihm wird 1792 durch eine Sondererlaubnis gestattet, in der Neustrelitzer Schlossstraße für 1510 Reichsthaler Gold ein Grundstück zu kaufen, verbunden mit der Auflage, das Haus zur Straßenseite hin repräsentativ zu erweitern.

Bekannt ist, dass in den siebziger und 80er Jahren Moses Mendelssohn seine Kinder regelmäßig nach Strelitz in die Sommerfrische schickte, diese und eventuell ihre Mutter Fromet weilten dann in der Familie von Nathan Meyer. Jahrzehnte später schreibt Brendel Mendelssohn am 25.11.1832 an ihren Bruder Joseph, dass sie sich erinnere „jener so friedlichen kindlichen Zeit, wo wir in Alt-Strelitz … so oft zur Sommerzeit aufgenommen waren“. Das war für die Kinder sicher immer eine willkommene Abwechslung nach dem relativ strengen Erziehungs- und Bildungssystem in der Familie Mendelssohn. Zum großen Teil unterrichtete Moses Mendelssohn seine Kinder selbst. Sein Biograph Kayserling schreibt mit Bezug auf Lessings „Nathan der Weise“ die folgenden Worte über den Erziehungsstil von Mendelssohn: „So mild und ruhig, so bescheiden und gelassen wie Nathan, sprach auch Mendelssohn, mit tiefem Sinne, doch nie auffordernd, so floss auch seine Rede hin. Wie Nathan seine Recha, so belehrte Mendelssohn seine eigene Tochter. Stufenweise verfuhr er bei der Entwicklung ihrer religiösen Idee; er suchte sie auf natürliche Begriffe und naturgemäße Erscheinungen hinzuweisen, sobald er merkte, dass Schwärmerei sich des jugendlichen Gemütes bemächtigte.“ Seinen Sohn Joseph (1770-1848), mehreren von dessen Freunden sowie seinen älteren Töchtern hielt er regelrechte Privatvorlesungen, die als „Morgenstunden“ bekannt und später auch von Moses Mendelssohn veröffentlicht wurden.

Bereits am 06.09.1785 berichtet Moses Mendelssohn in einem Brief an einem Freund, dass er seine Tochter Recha (oder Rachel), geboren 1767, Mendel, einem Sohn von Nathan Meyer, versprochen habe. Recha fügte diesem Brief ihres Vaters eine Nachschrift an. „Wir kommen nach Neu-Strelitz, einem Orte, [Seite 9] der ziemlich hübsch, obgleich gar nicht in Vergleich zu Berlin zu setzen ist.“ Sie kannte ja Mendel Meyer schon aus ihren Kindheitsjahren von Sommer-aufhalten in Strelitz. In diesem September 1785 weilte auch ihr Bräutigam zu einem Besuch bei Mendelssohn und seiner Familie in Berlin. Im Sommer 1786, kurz nach dem Tode ihres Vaters,[5] heiratet Recha im gerade erreichten Alter von 19 Jahren den Mendel Meyer in Strelitz. Sie nimmt einige Zeit später ihre Mutter Fromet, ihre Großmutter Vogel Gugenheim, ihre Schwester Henriette und ihre jüngeren Brüder im gleichen Jahr in ihre Strelitzer Wohnung auf. Henriette zieht 1793 nach Berlin. Im gleichen Jahr verstirbt ihre Großmutter Vogel. Die Ehe von Recha mit Mendel Meyer ist nicht glücklich, sie verläuft wenig harmonisch und wird 1800 geschieden. Nach der Scheidung ziehen Recha und Fromet nach Altona, wo Recha 1802 ein Pensionat für junge Mädchen eröffnet. Nachdem 1812 auch ihre Mutter Fromet verstirbt, schließt sich Recha ihrem Bruder Abraham an und zieht zu ihm nach Berlin.[6]

Interessant sind einige Äußerungen zu Henriette Mendelssohn, die – zeitlebens unverheiratet – als Erzieherin zunächst nach Berlin, dann viele Jahre nach Paris und schließlich wieder nach Berlin zog, und ihre Umgebung beeindruckte. So äußerte sich beispielsweise Goethe, der Henriette in Karlsbad getroffen hatte, sehr positiv über sie: „Ja, es ist ein liebevolles Mädchen; sie ist stark in jeder ihrer Empfindungen, und doch leicht in jeder Äußerung; jenes gibt ihr eine hohe Bedeutung, dies macht sie angenehm, jenes macht, dass wir an ihr die große Originalität bewundern, und dies, dass diese Originalität liebenswürdig wird, dass sie uns gefällt. … Sie ist, soweit ich sie kenne, in jedem Augenblick [Seite 10] sich selbst gleich, und immer in eigner Art bewegt, und doch ruhig - … sie ist, was ich eine schöne Seele nennen möchte.“ Nach dem Tode von Henriette Mendelssohn am 09.11.1831 schrieb Goethes Freund Zelter in einem Brief an ihn: „Es gehört doch zu den Besonderheiten, wenn ein Berlinerisches Judenmädchen, ohne Persönlichkeit, zur Dame eines der ersten Pariser Standeshäuser geworden, gar keinen Abstand in Sprache, Sitte und ökonomischen Benehmen bemerken lässt. Seit den zehn Jahren, die sie nun wieder in Berlin von mir so oft und gern gesehen worden, habe ich kaum ein französisches, englisches oder italienisches Wort aus ihrem Mund gehört, vielmehr sprach sie das klarste, fließendste Deutsch, mit einer Heiterkeit, in der ich deine schöne Seele zu erkennen glaubte.“[7]

Wie oft Moses Mendelssohn tatsächlich selbst in Strelitz bei seinen Freunden und Verwandten geweilt hat, lässt sich nicht sagen. Wir kennen nur wenige Hinweise von ihm selbst, in denen von einem Aufenthalt in Strelitz die Rede ist. Am 24.08.1778 schreibt Moses Mendelssohn einen Brief an seinen guten Freund Elkan Herz in Leipzig über einen Besuch in der der ersten Augusthälfte dieses Jahres. Darin heißt es: „Lieber Freund! Sie sind mir auf mein jüngstes Schreiben noch eine Antwort schuldig. Seitdem habe ich eine Lustreise nach Strelitz unternommen, einen guten Freund zu besuchen, allwo ich mich circa 14 Tage aufgehalten.“ Bei dem guten Freund hat es sich um Nathan Meyer gehandelt. Im gleichen Brief gibt er Auskunft über das benachbarte Fürstenberg, wo er aber nur etwa sechs Stunden geweilt habe: „Gern gebe ich zu erkennen, dass genannter Ort dem Ansehen und Verlaut nach geeignet zu sein scheint, seinen Lebensunterhalt dort zu gewinnen.“ Auch aus dem folgenden Jahr liegt eine Äußerung von Moses Mendelssohn über einen erneuten Sommeraufenthalt in Strelitz vor. Er schreibt am 29.06.1779 aus Strelitz an seinen Freund August von Hennings nach Kopenhagen: „Ich bin auf einige Tage hierher gereist, einen Freund zu besuchen. Ich habe hier keine Geschäfte, keine Bücher, keine Zerstreuung. Ich kann mich sammeln und an die Angelegenheiten meines Herzens mit Muße denken, und Sie, mein Teuerster! sollen der erste sein, mit dem ich mich in dieser Lage unterhalten will. … Überhaupt hat mein Herz wenig Reizbarkeit zum Zorn, Verdruss, Reue u. dgl. unangenehmen Affekten. Ich bin nur noch empfindsam gegen Liebe und Freundschaft und auch hierin in einem so gemäßigten Grade, dass mich meine Freunde sehr oft der Launigkeit beschuldigen. Allein ich kann mir keine Empfindungen geben, die ich [Seite 11] nicht habe, und lügen mag ich sie nicht, so sehr die Ziererei der Mode es zu fordern scheint.“

Moses Mendelssohn

Mendelssohn und seine Begutachtung der „frühen Beerdigung“ der Juden

Man kann sicher davon ausgehen, dass Moses Mendelssohn vielen jüdischen Gemeindemitgliedern in Mecklenburg ganz allgemein als Philosoph und Religionsgelehrter bekannt war und sowohl von Juden und Nichtjuden geschätzt war. Das belegt u. a. ein Vorgang aus dem Jahre 1772, als sich der Vorstand der jüdischen Gemeinde in der Residenzstadt Schwerin an Moses Mendelssohn in Berlin mit der Bitte um Stellungnahme und Unterstützung gewandt hatte. Was war geschehen? Anfang der 70er Jahre des 18. Jahrhunderts war, ausgelöst vor allem durch den Professor Oluf Gerhard Tychsen [Seite 12] (siehe den folgenden Abschnitt über Tychsen in diesem Aufsatz), eine Diskussion darüber entstanden, ob es den Juden weiterhin gestattet werden sollte, ihre toten Glaubensbrüder in der Regel noch am Todestag selbst zu bestatten. Man unterstellte die Möglichkeit, dass dadurch auch scheintote Menschen unzulässig begraben werden könnten. Obwohl selbst ein Rechtsgutachten der herzoglichen Regierung von Februar 1772 den Juden ein Recht zur umgehenden Bestattung der Verstorbenen zuerkannte, schloss sich der Herzog Friedrich von Mecklenburg-Schwerin den geäußerten Bedenken an und erließ am 20.04.1772 eine Verordnung, die den Juden zur Pflicht machte, ihre Toten wenigstens drei Tage unbegraben zu lassen. Im folgenden wird der Text des Reskripts angeführt:

„Reskript an die sämtlichen Schutzjuden in den Herzoglich Mecklenburg-Schwerinschen Landen, die Beerdigung ihrer Toten betreffend.

Wir Friedrich von Gottes Gnaden, Herzog zu Mecklenburg, Fürst zu Wenden, Schwerin und Ratzeburg, auch Graf zu Schwerin, der Lande Rostock und Stargard Herr p.p.

Wir fügen euch, den sämtlichen Schutzjuden in Unseren Herzogs-Fürstentümern und Landen hierdurch zu wissen, was maßen der unter euch mehren-teils beobachtet werdende Gebrauch, die Toten keine Nacht in dem Sterb-Haus zu lassen, sondern sie gleich am Tage ihres Absterbens zu beerdigen, sehr oft die Folge haben könne, dass eine nur in einer schweren Ohnmacht oder durch andere Zufälle verursachten Unempfindlichkeit liegende Person als wirklich verstorben angesehen und also gewissermaßen lebendig begraben werde. Da eine so eilfertige Beerdigung der Toten gleichwohl zu euren Glaubens-Sätzen nicht gehöret; so werdet ihr, nach Unserer hierbei auf euer eigenes Beste und auf eure eigene Lebens-Sicherheit gerichteten höchsten Absicht, hierdurch samt und sonders befehligt, euch solcher frühen Beerdigung künftig zu enthalten und von nun an eure Toten wenigstens drei Tage unbegraben zu lassen. Wonach ihr euch zu richten habt.“

Diese „Frage der frühen Beerdigung“ wurde dadurch zu einem für viele Juden existenziellen Problem ihres Glaubens. Kayserling schreibt dazu: „Ein Zetergeschrei erhob sich unter den Juden Mecklenburgs, als ob die Verbannung oder Ausweisung ihnen angedroht wäre, als ob der Landesherr sie hätte zwingen wollen, die Religion ihrer Väter zu verlassen oder ein mosaisches Recht zu übertreten. Eltern sollten ihre Kinder, Kinder ihre Eltern erst alsdann der Erde übergeben, wenn jede Besorgnis eines Scheintodes gewichen wäre; das [Seite 13] nannten sie in inniger Frömmigkeit, ‚in den Wegen der Völker wandeln, sie von dem Glauben der Väter abwendig machen‘.“

Bereits am 15.05.1772 wandte sich die jüdische Gemeinde daher an den Herzog und bat um die Zurücknahme seiner Verordnung. Gleichzeitig wandte sich die Gemeinde an Moses Mendelsohn in Berlin um Unterstützung. Im betreffenden Schreiben hieß es u.a.:

„ Darum ergeht der Ruf an Sie, dass Sie vermöge Ihres großen Wissens, welches viele und hohe Weisheit in sich schließt, die uns unzugänglich ist: vielleicht könnten Sie es fertig bringen, den Fürsten von seinem Vorhaben abzubringen. Das Reskript gründet sich daraus, dass es keine Vorschrift darüber im Gesetz Moses gibt. Die Worte Moses aber wurden nach der Überlieferung erklärt, welche für uns unerschütterlich feststeht von Geschlecht zu Geschlecht. Wer aber könnte angesichts einer solchen Tyrannei gegen die Materie gleichgültig bleiben. So mögen Sie doch eine Antwort erteilen, die als Zaun dienen könnte für unsere Widersacher, die sich erdreisten aufzutreten gegen unsere berühmten erhabenen Männer. Es wird Ihnen dieses zum hohen Verdienst gereichen als huldvolle Handlung im Interesse der gebrochenen Herzen. Sie werden durch diese Tat alles Guten teilhaftig werden, welches aufbewahrt ist für die Gottesfürchtigen.“

Moses Mendelssohn reagiert schnell. Noch im Mai 1772 antwortet er seinen Glaubensbrüdern in Schwerin:

„An die achtbare Gemeinde zu Schwerin!

Ihre angenehme Zuschrift vom vergangenen Monat habe ich wohl erhalten. Ich ersehe daraus, dass Ihr Landesherr Ihnen befohlen, die Toten drei Tage aufzubewahren, ehe Sie sie unter die Erde bringen lassen. Sie, meine Herren! scheinen darüber so bekümmert und gekränkt zu sein, als wenn der Landesherr sie zwingen wollen, die Religion unserer Väter zu verlassen, oder ein mosaisches Gesetz, oder wenigstens eine Vorbeugungsregel der Rabbinen zu übertreten.

Ich gestehe gern meine Unwissenheit, dass ich das nicht einsehe, und die Ursachen zu den großen Anstalten, die Sie dawider treffen wollen, nicht begreifen kann. Ob ich nun schon weiß, dass Ihr Rabbi ein Gesetzgelehrter ist, und auch mit Gesetzlehrern hinlänglich umgegangen ist, um selbst diese Sache zu entscheiden: so will ich doch nicht unterlassen, Ihnen meine Meinung darüber zu eröffnen. Wenn ich irre, nehme ich Zurechtweisung gern an. Nach [Seite 14] meinem Dafürhalten also, liegt in der Folgeleistung dieses landesherrlichen Befehls nicht die mindeste Gesetzesübertretung, wie Sie zu finden vermeinen.“

Nach näheren Begründungen seiner Auffassung im Detail bemerkt Mendelssohn:

„Ich sende Ihnen also ein Schema zu einer Vorstellung, die Sie meines Bedünkens Ihrem Landesherrn zu überreichen hätten. Wahrscheinlicher Weise wird er mit diesem Vorschlag zufrieden sein; und jeder Sterbliche wird dadurch in Frieden zu seinen Vätern versammelt werden.“

Das für den Herzog bestimmte „Schema“ enthält eine konkrete Darlegung der Auffassung von Mendelssohn, dass es keine wirkliche Begründung dafür gibt, auf der „frühen Beerdigung“ ohne Ausnahme zu bestehen. Daher empfiehlt er der Schweriner Gemeinde, dem Herzog mitzuteilen:

„Um also unser Gewissen in alle Fälle zu befreien und völlig versichert zu sein, dass von der einen Seite keine Person begraben wird, in der noch einiges Leben ist, so wie auf der andern Seite kein Leichnam länger im Hause zu behalten, als nötig ist, wollen wir es künftig nicht mehr auf unser eigenes Urteil, sondern auf die Aussage eines Arzneiverständigen ankommen lassen, und die Toten nicht eher beerdigen, bis ein erfahrener Arzt den Leichnam besichtiget und nach den Regeln der Kunst urteilet, dass an dem Tode nicht mehr zu zweifeln sei. Wie nun hierdurch Euer Herzogl. Durchl. höchste Absicht und väterliche Vorsorge auf das Beste und Sicherste Genüge und zu gleicher Zeit unseren Religionsgebräuchen nicht zu nahe geschieht, so bitten [wir] untertänigst Eure Herzogl. Durchl. wollen geruhen, dero gnädigste Verordnung vom 30. April. d. J. darin einzuschränken, dass von nun an kein Leichnam mehr beerdigt werde, bevor solcher von einen approbierten Medici besichtigt, und die Gewissheit des Toten von demselben versichert wird. Wir getrösten uns gnädigster Erhörung und ersterben Euer Herzogl. Durchl. p.p.p.“

Der Schweriner Herzog greift die Ansichten von Mendelssohn auf, der mit seiner Position die teilweise Veränderung der ersten herzoglichen Verordnung bewirkte.

Für unser Anliegen, die zwischen Moses Mendelssohn und Mecklenburg bestehenden Beziehungen herauszuarbeiten, ist dieser Vorgang von 1772 von besonderer Bedeutung. Fakt ist, dass die Anfang der 70er Jahre begonnene und bis etwa Ende der 90er Jahre des 18. Jahrhunderts andauernde Diskussion zur frühen Beerdigung in Mecklenburg ihren Ausgangspunkt genommen hat. Die sich über mehr als 20 Jahre hinziehende Diskussion erreichte erst in den 90er [Seite 15] Jahren des 18. Jahrhunderts einen weiteren Höhepunkt. Wiederum ging die Initiative zur Neuregelung der jüdischen Beerdigungen von Mecklenburg aus, diesmal vom Herzogtum Mecklenburg-Strelitz. Nach einigen Auseinandersetzungen dazu im eigenen Landesgebiet greift Herzog Adolf Friedrich das Problem 1793 in einem Schreiben an die Strelitzer Judenschaft mit der Feststellung auf, dass es nun an der Zeit wäre, die Tradition der frühen Beerdigung auch in Strelitz zu beenden. Die Strelitzer jüdische Gemeinde wollte sich aber der herzoglichen Forderung nur beugen, wenn bestimmte Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Sie lehnte die vom jüdischen Kandidaten Michaelis, der Lehrer der Kinder des Kammeragenten Nathan Meyer war, gemachten Versuche zur Abschaffung der frühen Beerdigung in Strelitz ab. Silberstein fasst später die Haltung der Ältesten und Vorsteher der Gemeinde zusammen, wenn er schrieb: „Sie legen Verwahrung gegen die neuen Bestrebungen ein und bitten den Herzog, dass er sie in den alten Gebräuchen belasse … Die neueren Schriftsteller wagen einen Einbruch in die alten Gebräuche, wollen das jüdische Gesetz zerstören; wer weiß, was noch folgen werde, ob nicht gar nach dem Vorgange der französischen Revolution die jüdische Religion begraben werden soll. Jedenfalls soll Strelitz nicht damit den Anfang machen. Nur wenn die drei Städte, Berlin, Hamburg und Schwerin, mit dieser Einrichtung vorgehen, wollen sie sich fügen.“ Herzog Adolf Friedrich reagiert darauf in zwei Richtungen. Einmal bittet er die Regierungen der betreffenden Gebiete, besonders die preußische Regierung in Berlin, sich der Abschaffung der frühen Beerdigung auf dem Verordnungswege anzuschließen. Die Schweriner Regierung hatte ja bereits 1772 entsprechende Maßnahmen getroffen, von Hamburg ist uns die Entwicklung dazu nicht bekannt. Zum anderen kommt der Herzog den Strelitzer Juden in gewisser Weise entgegen, indem er in seiner Verordnung, die er am 13.02.1794 erlässt, eine Ausweichlösung einfügt: „Es werden daher sämtliche Schutzjuden in Unserm Lande samt und sonders befehligt, künftig ihre Toten nicht früher, als nach Ablauf des dritten Tages nach dem erfolgten Absterben zu begraben, mithin eine Leiche wenigstens drei volle Tage unbeerdigt zu lassen, es wäre denn, dass ein approbierter Arzt nach geschehener Besichtigung zur früheren Beerdigung seine Einwilligung schriftlich erteilte.“ Er schließt sich also der schon über 20 Jahre existierenden Schweriner Regelung an. Aus Berlin kommt die Reaktion auf die Bitte des Strelitzer Herzogs erst sehr spät. Die Berliner Juden beharren dort auf den althergebrachten Modus, so dass die zuständigen preußischen Regierungsräte im Februar 1795 noch empfehlen: „ … unter solchen Umständen erscheint es Uns das Beste, hiesigen Orts die Juden noch nicht zu zwingen, sondern vielmehr eine ausgebreitetere Aufklärung in diesem Sinne [Seite 16] abzuwarten“. So kommt es, dass in Preußen eine Neuregelung erst am 25.09.1798 durch königlichen Erlass von Friedrich Wilhelm III. erfolgt. Silberstein vermerkt dazu: „Die Frage, ob jemand tot oder nicht tot sei, so heißt es darin, ist nicht Sache der Religion, sondern der Physik, es komme also … nur der Landespolizei zu … Vorschriften über die Kennzeichen des Todes zu geben und danach die Zeit der Beerdigung und die zuvor zu beachtenden Vorsichtsmaßregeln zu bestimmen.“

Es steht fest, dass die rund 30 Jahre in deutschen Ländern geführte Diskussion zur frühen Beerdigung von Mecklenburg ausgegangen ist. Silberstein fasste seine Wertung mit den Worten zusammen: „Jedenfalls bleibt Mendelssohn das große Verdienst, zuerst auf die irrtümliche Auffassung, dass die frühe Beerdigung aus religiösen Gründen erfolgen müsse, hingewiesen zu haben. Überall hat man in den Verhandlungen sich auf seine Anschauung gestützt, um diese Unsitte abzuschaffen.“ Wir können davon ausgehen, dass die Schweriner Stellungnahme zur frühen Beerdigung, deren Bedeutung bis in die Gegenwart im allgemeinen unterschätzt wird, ein wichtiger Wirkfaktor bei dem Bestreben von Mendelssohn war, die Emanzipation der Juden zu befördern und ihre Einordnung in die gesellschaftlichen Bedingungen der Zeit zu unterstützen. Mendelssohn setzte mit seiner Empfehlung praktisch eine These um, die er später, im Jahre 1783, in seiner Schrift „Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum“ zum Ausdruck gebracht hatte, nämlich, dass es erlaubt sei, bei aller Bedeutung der religiösen Gesetze über das Gesetz nachzudenken, um festzustellen, ob es nicht in neuen Zeiten und anderen Orten den Umständen angepasst werden kann, auch müsse Brauch und Gesetz unterschieden werden. Der Autor Bernhard hat das in einer neueren Veröffentlichung in ähnlicher Weise ausgedrückt:

„Die Pointe seines Vorschlags war, das Beerdigungsritual fortführen zu können, indem es in Einklang mit einer sich wandelnden Welt gebracht wurde. Juden konnten die von außen an sie herangetragenen Ansprüche aufnehmen, ohne sich selbst aufgeben zu müssen. Zugleich genügte die Idee der Einschaltung eines gleichsam amtlichen Mediziners dem Anspruch des frühmodernen Staates.“[8]

Moses Mendelssohn und der Orientalist O. G. Tychsen in Bützow

[Seite 17] Moses Mendelssohn stand längere Zeit im Gedankenaustausch mit einem Gelehrten aus Mecklenburg, Oluf Gerhard Tychsen (1734-1815), der aus Dänemark stammte, an der Universität in Halle studiert hatte und von 1763 bis 1789 Professor der Orientalischen Sprachen an der seit 1760 existierenden und von Herzog Friedrich von Mecklenburg-Schwerin gegründeten Friedrichs-Universität zu Bützow in Mecklenburg-Schwerin war.[9] Das Fachgebiet von Tychsen konzentrierte sich besonders auf die semitischen Sprachen, u. a. Hebräisch und Jiddisch, darüber hinaus verstand er sich als ein Kenner des Talmud. Als lutherischer Pietist setzte er sich einerseits als aktiver, aber erfolgloser Missionar für den Übertritt der Juden zum Christentum ein, andererseits verstand er sich als Mittler zwischen Juden und Christen. Moses Mendelssohn sandte ihm Entwürfe verschiedener eigener Ausarbeitungen zu, u. a. auch von Übersetzungen für seine Ausgabe der fünf Bücher Mose.

Tychsen gehörte durchaus nicht zur ersten Reihe der Orientalisten an deutschen Universitäten, stellte sich aber trotz mancher eigenen Zurückhaltung gern als einen herausragenden Kenner dieser Materie dar. Eine solche Haltung drückt sich in manchen brieflichen Äußerungen von Tychsen aus, wenn er z. B. vermerkt, „dass Mendelssohn vieles recht gut deutsch … gegeben, aber auch zuweilen den guten deutschen Ausdruck vernachlässigt hat“, oder wenn er mitteilt, dass ihm Juden zu den Mendelssohn-Übersetzungen abfällig gesagt hätten: „Was, der Chammer (Esel) versteht kein taitsch!“. Mendelssohn seinerseits [Seite 18] war enttäuscht von den Lücken in den Kenntnissen von Prof. Tychsen, so schrieb er u. a. am 08.02.1874 an einen Bekannten in Leipzig: „Was mich … sehr befremdet hat, ist die sehr eingeschränkte Kenntnis dieses Gelehrten im Rabbinischen: Von allen Stellen, die er aus dem Talmud anführt, ist auch nicht eine einzige richtig übersetzt; und die mehrsten verraten, dass er, der so viel von rabbinischer Gelehrsamkeit spricht, des Talmuds völlig unkundig sei.“[10]] Und Tychsen äußert sich 1788, nachdem ihm von einem Berliner Juden namens Lohnstein eine „verachtungsvolle Begegnung Mendelssohn gegenüber“ vorgeworfen wurde, abgeschwächt, aber eben auch abwertend folgender-maßen: „Wider Mendelssohn habe ich nichts Ungebührliches erinnert. Er war einer, seiner übrigen anerkannten Vorzüge unbeschadet, der eine Stimme haben konnte. Sein Hauptstudium war Philosophie, durch welche er sich einen berühmten Namen erwarb. Ich würde seiner gar nicht gedacht haben, wenn Herr L(ohnstein) es mir nicht so nahe gelegt hätte.“

Eine besonders intensive Auseinandersetzung entwickelte sich um eine Schriftenreihe, die Tychsen zwischen 1764 und 1769 in Bützow in sechs Teilen herausgegeben hatte: „Bützowische Nebenstunden, verschiedenen zur morgenländischen Gelehrsamkeit gehörigen Sachen gewidmet“. Im Band XI der „Allgemeinen Deutschen Bibliothek“, Teil 2, S. 208, erschien danach eine kurze Rezension der ersten fünf Hefte der „Nebenstunden“, die mit „B*“ gekennzeichnet war und von Tychsen und anderen als eine Besprechung aus der Feder von Moses Mendelssohn interpretiert wurde. Darin heißt es:

„Ein erbärmliches Geschmiere! Wer Lust hat, Nachrichten von der Geschichte der Juden im Mecklenburgischen, von neuen jüdischen Schriften, von Münzen … u. a. dgl. Dingen zu lesen: und zwar dies alles mit vielem unnützen Gewäsche, in einem unausstehlichen und oft pöbelhaften Stil, vornehmlich auch mit einem reichen Maße von schriftstellerischer Unbescheidenheit versetzt; der mag das Buch lesen. Gern unterschreiben wir den guten Rat, den ihm (schreibt er selbst Teil 2, Vorrede) jemand gegeben, ‚dass er zur Ersparung seines zu seinem notdürftigem Unterhalt kaum hinreichenden Gehalts, lieber Garnichts drucken lassen möge‘. Aber er wird ihm nicht folgen.“

Der Autor Leopold Donath schreibt später in seiner „Geschichte der Juden in Mecklenburg“ von 1874 über Tychsen:

„In seinen berüchtigten ‚Bützow’schen Nebenstunden‘ conterfeiert er sich als [Seite 19] einen zweiten Eisenmenger.[11] Es kommen aber auch Partien darin vor, die durch ihre Schamlosigkeit sich versteigenden Gemeinheiten ein wahrer Schandfleck der deutschen Literatur sind; wie auch die Geschmacklosigkeit der Darstellung das Zeitalter der Lessing, Herder, Mendelssohn, Goethe, Schiller usw. nicht im entferntesten vermuten lässt.“

Erwähnenswert ist, dass Tychsen eine umfangreiche Briefsammlung aus seiner Korrespondenz mit Juden hinterlassen hat, die durchaus nicht nur zu seiner eigenen Information und Bildung diente. Er hat in vielen Briefen an den Großherzog seine Kenntnis, auch wenn so manche Nachricht vertraulich war, weitergegeben. Offensichtlich war er bemüht, sich durch eine solche Informantentätigkeit das Wohlwollen des Großherzogs zu erhalten. Dass er dem Landesfürsten zum Munde redete, zeigt sich auch an einem Beispiel von 1812, wo Tychsen dem Großherzog ein positives Gutachten zur geplanten Emanzipation der Juden in Mecklenburg-Schwerin vorlegte und später an einen Bekannten schrieb, dass der Herzog ein solches positives Gutachten verlangt habe. In einer neueren Studie wird darauf verwiesen, dass bereits ein Biograph von Tychsen, dieses Gutachten in Verbindung gebracht habe „mit ‚gewissen Rücksichten‘, die man glaubte beachten zu müssen“, er stufte damit die Ausarbeitung als „Gefälligkeitsgutachten für den Herzog“ ein. Der aktuelle Autor fügte hinzu: „Diese Wertung ist nicht völlig von der Hand zu weisen.“[12]

[Seite 20] In einem Beitrag von U. Heinsohn und J. Jennrich von 2015 heißt es in gleichen Zusammenhangen:

„Auf Tychsens Wohlwollen konnten Juden sich jedoch nie blind verlassen. Anfangs suchte er durch Sensationelles in seinen Schriften Leser zu gewinnen, und manche jüdische Eigenheit gab er daher verständnislosem oder gar gehässigem nichtjüdischen Spott preis.“

Eine fundierte Kennerin der Briefsammlung schreibt über den Adressaten Tychsen, „der je nach seiner Rolle und Interesse als Universalgelehrter, Universitätsprofessor, Sammler oder Judenmissionar seine Beziehungen zu Juden pflegte. Es scheint jedoch, dass unter all den Selbstpositionierungen Tychsens die Missionierung der Juden eine absolute Priorität besaß.“[13]

Die eigentlichen Beweggründe für die Kontaktaufnahme von Moses Mendelssohn mit Tychsen in Bützow sind nicht konkret zu nennen. Eigentlich gab es wenige Gemeinsamkeiten in den wissenschaftlichen und religionstheoretischen Ambitionen der beiden Gelehrten. Sicher suchte Mendelssohn auch bei einem nichtjüdischen Orientalisten Anregungen für seine eigene Arbeit zu gewinnen. Es ist auch anzunehmen, dass Mendelssohn durch Tychsen u. a. unter den Juden und Nichtjuden Mecklenburgs mehr Aufmerksamkeit für sich selbst erringen wollte. Das Verhältnis von Mendelssohn und Tychsen zueinander blieb höchst ambivalent, man achtete sich in gewisser Weise gegenseitig, kritisierte aber einander heftig.

Familiäre Entwicklungen nach dem Tode von Moses Mendelssohn

Nach fast 15 Jahren, die ihn durch eine schwere Nervenkrankheit und daraus folgende immer wieder auftretende Arbeitsunfähigkeit stark belastet haben, stirbt Moses Mendelssohn am 04.01.1786 in Berlin. Die große jüdische Gemeinde der Stadt gab ihm zusammen mit vielen christlichen Bekannten und Freunden das letzte Geleit bei seiner Beisetzung auf dem jüdischen Friedhof. In der Ausgabe von „Briefen von und an Mendelssohn“ von Ludwig Geiger wird in einem angefügten Teil über die Äußerungen von Freunden Mendelssohns u. a. geschrieben: „Es war begreiflich, dass Mendelssohns Tod auf alle Freunde der [Seite 21] deutschen Literatur einen großen Eindruck machte. Die sympathische Gestalt des Philosophen und Aufklärers hatte sich allgemeiner Hochachtung zu erfreuen, man blickte auf ihn mit einer gewissen Verehrung, welche selbst seine Gegner ihm nicht versagten.“

Fromet Mendelssohn, seine Witwe, „die ihrem Mann zeitlebens den Rücken freihielt“, wie es am 24.04.2013 in einem SPIEGEL-Beitrag hieß, muss nun ihre Zukunft überdenken. Sie und ihre Kinder erhalten nach langjährigen Bemühungen erst am 04.01.1786 das gemeinsame Aufenthaltsrecht. Fromet überträgt die künftige Herausgabe aller gedruckten und ungedruckten Schriften einigen Freunden ihres Mannes, wie sie am 18.05.1786 in einer Anzeige in der „Berliner Privat-Zeitung“ mitteilt. Sie entschließt sich, in Berlin zu bleiben und kauft im gleichen Jahr für 5000 Taler das Haus Spandauer Straße 68. Hier hatte sie bereits mit ihrem Mann und ihren Kindern sowie mit ihrer Stiefmutter Vogel Gugenheim, der zweiten Ehefrau ihres 1766 verstorbenen Vaters Abraham Gugenheim, seit 20 Jahren zur Miete gewohnt. Sie hat zwar ein kleines Vermögen erben können, strebte aber im Interesse der künftigen Situation ihrer Kinder eventuell mögliche Vergünstigungen an. Sie wendet sich am 17.06.1787 an den preußischen König und bittet für ihre Kinder und deren Nachkommen ein „Generalprivilegium“ mit allen Rechten der christlichen Kaufleute. Sie erreicht nun tatsächlich, was Moses Mendelssohn bei Friedrich II. nicht erreichen konnte. Am 21.03.1788 kommt König Friedrich Wilhelm II. ihrer Bitte nach, „aus höchst eigener Bewegung wegen der bekannten Verdienste ihres Mannes". Fromet Mendelssohn entschließt sich jedoch bald, Berlin zu verlassen, um dem großstädtischen Leben nicht weiter ausgesetzt zu sein. Sie verkauft das Haus Spandauer Straße und will zu ihren Angehörigen nach Strelitz umziehen. Ihre Tochter Dorothea schreibt am 15.09.1788 an ihre Schwester in Strelitz: „Mama lebt in der Tat hier jetzt zu unruhig, ihr schwacher Körper würde es nicht lange so aushalten können, sie würde auch immer nur verdrießlicher werden; dort wird sie aber recht ruhig leben können“. Kurze Zeit später, am 01.11.1788 erbittet Fromet Mendelssohn vom Herzog „demütigst“ die Erlaubnis, in Neustrelitz ihren Wohnsitz zu nehmen und dafür auch ein Haus in der Stadt kaufen zu dürfen. Der Herzog lässt von seinem Ministerium ein Gutachten als Grundlage seiner Entscheidung anfertigen, das am 13.11.1788 auch vorliegt. Die herzogliche Regierung ging dabei auch davon aus, dass die Bittstellerin in der Lage sein müsse, von ihrem eigenen Vermögen zu leben und ein eventuell zu kaufendes Haus zu erstehen. Das Geheimratskollegium des Herzogs stellt daraufhin unter Bezug auf ihren berühmten Mann und seinen bisherigen Beziehungen zu Strelitz am 23.12.1788 ein Privileg aus, in dem es heißt: „Demnach wir der Witwe Mendelssohn aus Berlin auf ihr demütigstes [Seite 22] Ansuchen gnädigst verstattet haben, sich hier in Neu Strelitz niederzulassen, auch ein Haus zu kaufen, dass sie letzteres ohne Unsere landesfürstliche Erlaubnis an keinen Juden zu veräußern befugt sein, und im Fall sie Handlung allhier treiben wird, sie ein demnächst zu bestimmendes Quantum dafür erlegen, übrigens aber sich sodann den eingeführten Handlungsgesetzen unterwerfen solle …“.

Fromet Mendelssohn bemüht sich aber zunächst nicht um den Kauf eines Hauses, sondern wohnt einige Jahre im Hause ihrer zweitältesten Tochter Recha und deren Mann Mendel Meyer, den Sohn des Kammeragenten Nathan Meyer, in Strelitz, wie wir bereits weiter oben erwähnt haben. Recha hatte ihren Mann auf Wunsch ihres Vaters noch 1786, aber nach dem Tode von Moses Mendelssohn, geheiratet. Auch ihre jüngeren Geschwister wohnten zeitweilig bei ihr. Sie nahm auch die Stiefmutter von Fromet Mendelssohn auf, Vogel Gugenheim, genannt „Vögelchen“, die nach dem Tode von Abraham Gugenheim 1776 von Fromet versorgt und gepflegt wurde. Vogel Gugenheim verstarb am 25.05.1793 in Neustrelitz, ihre letzte Ruhestätte fand sie auf dem jüdischen Friedhof zu Altstrelitz.

In der Ehe von Recha und Mendel Meyer hatte es zunehmend Probleme gegeben, die Ehe verlief nicht harmonisch. Diese sich verschlechternde Situation im Hause ihrer Tochter Recha hat mit Sicherheit den Anstoß dafür gegeben, dass Fromet Mendelssohn dann doch danach strebte, ein eigenes Haus zu erwerben. Am 05.12.1798 zeigt sie bei der herzoglichen Regierung an, dass sie auf der Grundlage ihres Privilegs von 1788 das in der Schlossstraße gelegene Haus des Kammeragenten Nathan Meyer einschließlich des zum Haus gehörigen Sonderrechts, einen hinteren Zugang zu nutzen, gekauft hat. Wie schon beschrieben, handelte es sich bei Nathan Meyer um einen alten Freund ihres Mannes Moses Mendelssohn, der bei einer Versteigerung am Stadtgericht Strelitz dieses Haus im Oktober 1792 erstanden hatte. Nathan Meyer aber hatte schon im ersten Halbjahr 1798 Strelitz verlassen und sich in Altona selbständig gemacht. Da dem Strelitzer Herzog aber an einem auswärtigen Kammeragenten nicht gelegen war, forderte er am 21.08.1798 die Rückgabe des an Nathan Meyer ausgestellten Patents vom 24.09.1775 zurück, was dieser auch im gleichen Monat erledigte. Nathan Meyer beabsichtigte mit seinem Umzug nach Altona nach seinen eigenen Worten „wie Tausend andere … von den jetzigen Handlungskonjunkturen zu profitieren.“ Er hat natürlich ein Interesse daran, nach seinem Weggang aus Strelitz sein dortiges Anwesen zu verkaufen. Die herzogliche Regierung lehnt aber den Kauf des Hauses durch Fromet Mendelssohn ab. Sie begründet dies damit, dass die Schlossstraße von der [Seite 23] Ansiedlung jüdischer Bürger ausgenommen sei, sich die allgemeine Konzession von Fromet Mendelssohn sich nicht auf einen Hauskauf in dieser Straße beziehe und Nathan Meyer nur eine Ausnahmegenehmigung besessen habe „nur aus besonderen Gnaden und in Betracht, dass er derzeit ein wirklicher mit einem Charakter versehener Herzoglicher Bedienter gewesen“. Der Herzog, der diese Ablehnung bereits unterschrieben hatte, zieht jedoch am 21.02.1799 seine Unterschrift zurück und gestattet Fromet, das Haus „käuflich und eigentümlich“ zu übernehmen. Diese mit verschiedenen Bedingungen verknüpfte Erlaubnis ist ein interessantes Beispiel dafür, auf welche Weise jüdischen Einwohnern die Rechte eines Bürgers noch am Ende des 18. Jahrhunderts vorenthalten wurden. Silberstein führt die in diesem Dokument enthaltenen Bedingungen an, wonach Fromet Mendelssohn hinnehmen müsse,
„1. dass sie das Haus an keinen Juden wieder verkaufe,
2. nach ihrem Ableben ihre Familie das Haus zwar noch ein Jahr bewohnen können, alsdann aber selbiges an einen Christen wieder verkauft werden müsse,
3. dass sie in dem Hause keine auswärtigen oder gar fremde Juden zur Miete einnehmen oder auswärtige oder fremde Juden ohne Konzession der Polizei auch nur eine Nacht bei sich beherberge,
4. dass sie ohne unsere höchste Erlaubnis keine Judenschule oder Synagoge darin anlege, und endlich
5. wie sich schon von selbst versteht, alle onera [Lasten] von dem Hause und dessen Pertinenzien [zum Grundstück gehörenden Teile] trage, die entweder schon jetzt auf die Häuser und deren Pertinenzien [zum Grundstück gehörenden Gebäude und andere Stücke] in der Stadt geleget sind oder noch künftig auf dieselben gelegt oder repartieret [hinzugefügt] werden. Wonach also dieselbe sich zu richten hat.“

Nachdem die Scheidung ihrer Tochter Recha von Mendel Meyer 1800 vollzogen ist, schließt sich Fromet mit ihrer Stiefmutter der Tochter an, die nach Altona geht und dort ein Pensionat für junge Mädchen eröffnet. In diesem Zusammenhang veräußert Fromet auch das gerade erst gekaufte Haus an den Strelitzer Kammerassessor v. Bassewitz.

Fromet Mendelssohn, geb. Gugenheim, verstirbt am 05.03.1812 bei ihrer Tochter Recha. Sie wird nach drei Tagen auf dem jüdischen Friedhof in Altona in der Königsstraße beigesetzt. Recha verlässt danach Altona und zieht zu ihrem jüngsten Bruder Abraham und dessen Familie nach Berlin.

[Seite 24] Kehren wir noch einmal zum Ausgangspunkt zurück. Moses Mendelssohn war in seinem Leben immer bemüht, human zu denken und zu handeln. Friedländer schrieb über ihn: „Sein Leben lehrte. Sein fleckenloser Charakter bedarf keiner Verbergung der Schwächen, seine Tugenden keiner Verschönerung, seine Liebenswürdigkeit keine Nachhilfe durch Redeschmuck. Damit wird aber nicht geleugnet, dass er zu unserer Gattung gehörte, dass er ein Mensch und kein Engel war.“ In die Stammbücher so mancher seiner Schüler schrieb Mendelssohn seine eigene Lebensmaxime:

„ Bestimmung des Menschen: Nach Wahrheit forschen, Schönheit lieben, Gutes wollen, das Beste tun.“

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(Gasiecki, Joachim - 01.03.2020)


  • [1] Wir stützen uns hier besonders auf folgende Veröffentlichungen:
    Silberstein, Siegfried: Moses Mendelssohns Witwe in Neustrelitz. – In: Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland. – Jg. 3/1931, H. 2-3, S. 123-129.
    Derselbe: Mendelssohn und Mecklenburg. – In: Ebenda, Jg. 1/1929/30, , H. 3, S. 233 ff. und H. 4, S. 275 ff.
  • [2] Friedländer, David: Über Mendelssohn, seinen Charakter, seinen Wirkungskreis und seine Verdienst um die Israeliten. – Ein Fragment. – In: Derselbe: Moses Mendelssohn. Fragmente von ihm und über ihn. – Berlin, 1819. – S. 16.
  • [3] Im gleichen Brief erwähnt Moses Mendelssohn „Lemle’s Sohn“ als seinen „alten Bekannten und Freund“. Dabei handelte es sich um Carl Moses Lemelson (auch bekannt unter Lemmelson bzw. Lemelsohn), geboren 1747. Er stammte aus Schlesien. Wie der etwa 18 Jahre jüngere C. M. Lemelson mit Mendelssohn bekannt wurde und welche Gründe ihn schließlich in das Strelitzer Herzogtum führten, wissen wir nicht. Wir können nur sagen, dass er 1783 in Strelitz Schutzjude wurde, ein offizielles Niederlassungs- und Handlungsrecht erwarb und am 21.04.1784 die Genehmigung für den Betrieb einer „Sozietätshandlung“ (die er zusammen mit dem Mendel Meyer, dem Sohn von Nathan Meyer, führte) mit der Festlegung erhielt, „sowohl fremde Waren und Güter anhero kommen zu lassen als auch hiesige Produkte auswärts zu versenden“. Das Geschäft lief gut, C. M. Lemelson wurde eine anerkannte Strelitzer Persönlichkeit. Die Strelitzer jüdische Gemeinde wählte ihn 1790 schließlich zum Vorsteher und Ältesten. Anfang des 19. Jahrhunderts erwirbt C. M. Lemelson eine Papiermühle In Wanzka bei Strelitz, wo er schließlich auch seinen Wohnsitz bis zu seinem Tode im Jahre 1829 nimmt.
  • [4] Nathan Meyer ist der Schwiegersohn von Moses Mendel, der Strelitzer Schutzjude seit 20.09.1758 war, 1765 Judenältester in Strelitz wurde, in den achtziger Jahren in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet, und schließlich seinen Pass zurückgab.
  • [5] In einigen Veröffentlichungen wird davon ausgegangen, dass die Heirat noch vor dem Tode von Moses Mendelssohn vonstattengegangen sei. Dies ist aber unwahrscheinlich. SILBERSTEIN weist mit Recht daraufhin, dass Mendel Meyer einen Schutzbrief für Strelitz erst am 11.05.1786 erhält, ohne den die Heirat und der Wohnsitz für seine Familie wohl kaum möglich gewesen wäre.
  • [6] Offensichtlich hatte Moses Mendelssohn nicht immer eine glückliche Hand bei der Auswahl der Ehemänner für seine Töchter. Auch seine älteste Tochter Brendel (1763-1839) bestimmte er als Ehefrau für Simon Veit, den Sohn des Kaufmanns und Bankiers Veit, einer seiner Freunde in Berlin. Bereits mit 14 Jahren wird sie 1778 mit dem zehn Jahre älteren Simon Veit verlobt, den sie mit 18 Jahren 1783 in Berlin heiratet. Ihre Ehe nimmt auch einen negativen Verlauf. 1797 lernt Brendel Friedrich Schlegel kennen und wird seine Geliebte. Sie trennt sich quasi von ihrem Mann, den sie wenig Später auch verlässt und zu Friedrich Schlegel zieht. Ihre Schwester Henriette schreibt im November 1798 an A. W. Schlegel: „Die Veit hat schon gestern ihr Haus verlassen und den letzten großen Schritt zu ihrem Glück getan. Sie sieht mit Heiterkeit über alles was sie jetzt drückt hinweg, einer schönen Zukunft entgegen. Jeder der sie liebt freut sich mit ihr und teilt ihre Hoffnungen.“ 1799 wird ihre Ehe mit Simon Veit durch ein Rabbinatsgericht geschieden. Sie tritt zum Protestantismus über und heiratet 1804 Friedrich Schlegel. 1808 konvertiert sie ein zweites Mal, gemeinsam mit ihrem Ehemann, beide treten zum Katholizismus über. Sie selbst nimmt den Namen „Dorothea Schlegel“ an und wird eine damals durchaus bekannte Schriftstellerin. Ihr erster Mann Simon Veit bleibt trotz des Zerwürfnisses mit Brendel Berater und Beistand von Fromet Mendelssohn, seiner Schwiegermutter.
  • [7] Beide Zitate siehe bei Peter Seibert: „Der literarische Salon. Literatur und Geselligkeit zwischen Aufklärung und Vormärz. – 1993, S. 429, Fn. 11.
  • [8] Bernhardt, H.-M.: Bewegung und Beharrung. Studien zur Emanzipationsgeschichte der Juden im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin 1813-1869 (= Schriftenreihe der Gesellschaft zur Erforschung der Juden e. V.; Abt. A, Bd. 7), Hannover 1998, S. 59
  • [9] „In unsern Tagen, wo auch hinsichtlich der Universitäten eine gewisse Konzentration sich vollzogen hat, möchte man den Plan, in einem kaum 160 000 Seelen zählenden Staat, in einer kleinen kaum über die Grenzen Mecklenburgs hinaus bekannten Landstadt eine Universität zu gründen, sonderbar finden und auf den Gedanken kommen, daß bei der Wahl dieses nur 4 Meilen von Rostock entfernten Orts die Schikane gewaltet habe; oder aber, wenn man die Geschichte Bützows berücksichtigt, denken, daß diese Stadt gewählt sei in der Erinnerung, daß hier vor langen Zeiten die Bischöfe residiert hatten, deren durch die Reformation frei-gewordene Rechte an der Rostocker Universität, zwar nicht ohne Widerspruch Rostocks, aus die Herzoge übergegangen waren. Aber Keins von beiden trifft zu; sondern als der Herzog den Plan gefaßt hatte, in der Nachahmung Halles mit der Universität ein Pädagogium und Waisenhaus zu gründen, bewog ihn nur die Rücksicht darauf, daß das große, leerstehende Schloß in Bützow ausreichend zur Aufnahme aller drei Institute sei, gegen das anderweitig vorgeschlagene Güstrow für Bützow sich zu entscheiden. Die Stadt Bützow zählte damals wohl kaum viel über 1000 Einwohner; ein großer Theil der Stadt lag noch von der großen Feuersbrunst von 1716 her wüst, die Bürger waren verarmt, das Handwerk nahrungslos. Ein anderer Mann als Döderlein, den der Herzog beauftragt hatte mit der Stadt zu verhandeln, hätte sofort erkannt, daß kein ungeeigneterer Ort für eine Universität sich finden ließ“. (Aus: Hölscher, Uvo: Urkundliche Geschichte der Friedrichs-Universität zu Bützow. In: Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgisches Geschichte und Altertumskunde. – Bd. 50, 1885, S. 25 f.) - Tychsen, der sich selbst gern in den Mittelpunkt rückte, verstieg sich 1775 im Rahmen theologisch-philosophischer Streitigkeiten mit auswärtigen Gelehrten jedoch zu der Fest-stellung: „Wie Wittenberg, so hat Gott Bützow begnadet, daß aus dem Dunkel dieses Orts ein Licht aufgehen soll, den Freunden der reinen Lehre zum Ärgerniß zu gereichen.“ (Ebenda, S. 95).
  • [10] Der Talmud ist eines der wichtigsten Lehr- und Theoriebücher der Juden, das zwar keine Gesetzestexte, aber Regeln und andere Interpretationen von den alten mündlichen Überlieferungen enthält.
  • [11] „EISENMENGER der Zweite“: Diese Formulierung geht auf eine Person zurück, die 1700 mit einer zwei-bändigen Schrift das Judentum verleumdete. Johann Andreas Eisenmenger (1654-1704) war in seinen letzten Lebensjahren ab 1700 Professor an der Universität Heidelberg. Seine Veröffentlichung ist eine mit Fälschungen und Erfindungen gespickte Schrift, mit der er im Laufe der Zeit zum Wegbereiter des modernen Antisemitismus in Deutschland und darüber hinaus wurde. Der Titel dieser Schrift von Eisenmenger zu Beginn des 18. Jahrhunderts lautete: „Entdecktes Judenthum oder Gründlicher und wahrhaffter Bericht, welcher gestalt die verstockten Juden die hochheilige Drey-Einigkeit, Gott Vater, Sohn und Heil. Geist erschrecklicher Weise lästern und verunehren, die Heil. Mutter Christi verschmähen, das Neue Testament, die Evangelisten und Aposteln, die Christliche Religion spöttisch durchziehen, und die gantze Christenheit auf das äusserste verachten und ver-fluchen: dabei noch viel andere, bißhero unter den Christen entweder gar nicht oder nur zum Theil bekannt gewesene Dinge ...; alles aus ihren eigenen und zwar sehr vielen mit grosser Mühe und unverdrossenem Fleiß durchlesenen Büchern mit Ausziehung der hebräischen Worte und derer treuen Ubersetzung in die Teutsche Sprach kräfftiglich erwiesen und in zweyen Theilen verfasset, deren jeder seine behörige, allemal von einer gewissen Materie ausführlich handelnde Capitel enthält; allen Christen zur treuhertzigen Nachricht verfertiget und mit vollkommenen Registern versehen.“ Der jüdische Aufklärer der Mendelssohn nachfolgenden Genera-tion Saul Ascher hat bereits 1794 in einer Schrift J. G. Fichte wegen dessen Antisemitismus als „Eisenmenger der Zweite“ gekennzeichnet.
  • [12] Siehe Bernhardt, H.-M.: Bewegung und Beharrung. – Studien zur Emanzipationsgeschichte der Juden im Groß-herzogstum Mecklenburg-Schwerin 1813.1869. – Hannover 1998, S. 80, Anm. 81.
  • [13] Maksymiach, M. A.: Korrespondenz – Macht – Verflechtung. – Oluf Gerhard Tychsen und seine Sammlung von jiddischen und hebräischen Privatbriefen. – In: Jüdische kulturelle und religiöse Einflüsse auf die Stadt Rostock und ihre Universität. Hrsg. von G. Boeck und H.-U. Lammel. (Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte, Bd. 28, 2. Aufl. Norderstedt, 2016.