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Genealogie

Die Mecklenburger jüdischer Abstammung oder Religion waren oft und schon früh Gegenstand isolierter genealogischer Betrachtungen. Herausgetan hat sich dabei vor allem der letzte Landesrabbiner von Mecklenburg vor der Schoah, Dr. Siegfried Silberstein, der so dafür gesorgt hat, dass zahlreiche Stammbäume auch heute noch verfügbar sind.
Die Mecklenburger Juden wurden wohl noch nie umfassend als in genealogischer Hinsicht zusammengehörige Bevölkerungsgruppe untersucht. Das Projekt Juden in Mecklenburg sammelt deshalb seit Jahren in elektronischer Form Stammbäume und biografische Daten von Personen, die einen Bezug zum Judentum in Mecklenburg hatten. Ziel dessen ist es, ein realistischeres und fundierteres Abbild der jüdischen Bevölkerung von Mecklenburg zu ermöglichen. Als Quellen dienten und dienen Unterlagen der Stadt- und Landesarchive, Volkszählungsregister, Kirchenbücher, jüdische Seelenbücher und Matrikel, Standesamtsregister und nicht zuletzt private Familienstammbäume und die Überlieferungen Überlebender des Holocaust.
Eine der zahlenmäßigen Wahrheit sich annähernde Erfassung ist nicht einfach. Sie ist zum einen schon deshalb schwierig, da es in jeder Mecklenburger Stadt im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts neben den behördlich registrierten Schutzjuden und ihren Familien auch sogenannte fremde Juden gab, die landesherrlich unerwünscht waren, sich aber dennoch irgendwie über Jahre hinweg durchschlugen und wegen ihres illegalen Aufenthalts eben nie erfasst wurden. Doch zum anderen besonders problematisch bei der Gesamterhebung sind - teilweise eindeutig - fehlerhafte oder ideologisch geprägte, aus der Zeit des Nationalsozialismus stammende Register, die später im Detail ungeprüft übernommen wurden und bis dato Basis neuerer Aussagen sind.

Nach oft bemühten Schätzungen lebten zur gleichen Zeit zwar nie mehr als etwa 3500 Personen jüdischer Religion nach der Neuansiedlung der Juden in Mecklenburg. Genauere, auf allen verfügbaren Quellen basierende und untereinander abgeglichene Erhebungen gibt es bis heute jedoch nicht.
Zum jetzigen Zeitpunkt sind auch wir noch nicht in der Lage, eine verlässliche Aussage zur jüdischen Bevölkerungszahl von Mecklenburg zu machen. Nach unserem derzeitigen Forschungsstand gab es aber über die Generationen seit der Neuansiedlung hinweg weit mehr als 20000 Personen, die Juden waren, von ihnen abstammten oder zumindest mit ihnen verwandt waren. Wie unser derzeitiger Datenbestand belegt, bezog die jüdische Bevölkerung Mecklenburgs seit ihrer Neuansiedlung dabei ihre Wurzeln neben den deutschen Landen als Einzugsgebiet vor allem aber aus den östlicher gelegen Gebieten, wie z. B. Pommern, Posen, Schlesien und Galizien. Mit der verstärkten Emigration nach Übersee und der Abwanderung ab Mitte des 19. Jahrhunderts trug Mecklenburg dann selbst zum Anwachsen der deutschen Großstädte bei, dabei vor allem Hamburg und Berlin. Mecklenburg bereicherte in dieser Zeit zusätzlich aber auch insbesondere die jüdische Bevölkerung in den skandinavischen Ländern. Bedingt durch die Verfolgungen des Nationalsozialismus nahmen dann westliche Länder, vor allem die USA und Großbritannien, die Flüchtenden in den 1930er und 1940er Jahren auf. Nachkommen der Mecklenburger Juden sind daher heute insbesondere in den beiden vorgenannten Ländern zu finden.

Die Mecklenburger Juden der Neuzeit als homogene genealogische Gruppe zu betrachten, ist nach den uns vorliegenden Daten schlicht falsch. Sicher ist jedoch, dass die Juden in Mecklenburg stärker miteinander verwandt waren, als es die übrige christliche Bevölkerung hier war. Grund dafür war einzig und allein der sowohl in christlichen als auch jüdischen Familien anfangs vorherrschende Zwang, innerhalb der eigenen Religion heiraten zu müssen und die bei den Juden im Gegensatz zur christlichen Bevölkerung beschränktere Auswahl an jüdischen Lebenspartnern. In dieser Zeit kam es deshalb nicht selten vor, dass Lebenspartner außerhalb Mecklenburgs gesucht werden mussten. Spätestens zum Anfang des 20. Jahrhunderts ist dann jedoch deutlich zu sehen, dass sich dieser religiöse Druck immer weiter auflöste, auch aufgrund der verstärkten Assimilation und Glaubensüber- oder austritte der Mecklenburger Juden.

So spannend Genealogie auch ist, weiß dennoch jeder Familienforscher, wie mühselig die Suche nach den eigenen Vorfahren sein kann. Fehlende Kirchenbücher, abgebrannte Archive, vernichtete Akten und tote Punkte kennt jeder Genealoge. Die jüdische Familienforschung hält allerdings noch erheblich größere Schwierigkeiten bereit: Da die allermeisten Juden in Mecklenburg bis zur Forderung des Emanzipationsedikts von 1813, erbliche Familiennamen anzunehmen, neben ihren Vornamen nur Patronyme zur Unterscheidung verwendeten, ist die Wiederherstellung von Familienstrukturen anhand der tatsächlich noch viel weiter zurück reichenden jüdischen Matrikeln oder Seelenbücher, so sie denn überhaupt noch vorhanden sind, mit außerordentlichem Aufwand verbunden und erfordert zudem viel Erfahrung.
Doch die größte Hürde bei der Vervollständigung von jüdischen Stammbäumen ist der vergangene Rassenwahn der Nationalsozialisten. Neben der Verleugnung der jüdischen Geschichte Mecklenburgs ist das tiefgreifendste Problem, dass diejenigen, die zu ihren Vorfahren noch hätten Auskunft geben können, ermordet und damit Geschichten ganzer Familienzweige für immer vernichtet wurden. Die Glücklichen, denen die Flucht gelang, hatten häufig so wenig Zeit und Möglichkeiten, dass Familienunterlagen zurückgelassen werden mussten.
Und ein anderer Aspekt dieser Zeit erschwert die jüdische Familienforschung noch zusätzlich: Selbst „Mischlinge 2. Grades“, wie es perfide in den Nürnberger Rassegesetzen hieß, hatten zumindest mit Repressalien zu rechnen. So ist es nicht verwunderlich, dass Einige ihre jüdische Abstammung gar verleugneten oder zu verdecken suchten und so das Wissen um die jüdische Abstammung bei ihren Nachfahren schlicht verloren gegangen ist.

Desto wichtiger ist es, zu retten was noch zu retten ist. Helfen Sie uns bitte dabei! Wir suchen ständig nach Stammbaumdaten aus Mecklenburg, die einen Bezug zu den hiesigen Juden haben.

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(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 27.12.2015)