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Annahme der Familiennamen

Einer der bedeutendsten Momente der Mecklenburger Juden war der Zeitpunkt der Annahme ihrer erblichen Familiennamen in den Jahren 1813 und 1814.

Die Adoption von Familiennamen war ursprünglich eine herzogliche Forderung im Rahmen der ersten gelungenen Emanzipation der jüdischen Einwohner Mecklenburgs in den Jahren 1813 und 1814, der sie durchaus gern nachkamen. Die eigentliche Intention des Herzog dahinter war eine rein fiskalische: So konnten die steuer- und schutzgeldpflichtigen Juden besser identifiziert und Verwechselungen vermieden werden. Für die Juden aber stellte es einen ersten Schritt zur bürgerlichen Gleichstellung mit der deutschen Bevölkerung dar, bei denen erbliche Familiennamen schon seit Jahrhunderten die Regel waren. Im Gegensatz zu den christlichen Mitbewohnern war das Führen erblicher Familiennamen zu diesem Zeitpunkt bei ihnen nicht üblich. Sie führten häufig nur einen Doppelnamen, der sich aus dem eigenen Vornamen und einem Vornamen des Vaters oder Großvaters zusammensetzte. Ob der Vaters- oder Großvatersname gewählt wurde, hing davon ab, ob derjenige bereits verstorben war. Von einem lebenden Vorfahren durfte der Beiname jedenfalls nicht stammen. Nicht selten wurde als Beiname auch eine Herkunftsbezeichnung gewählt. Dennoch gab es vereinzelt schon im 17. Jahrhundert, so auch in Mecklenburg, erbliche Familiennamen bei den Juden. Die Regel, insbesondere bei den ärmeren Landjuden Mecklenburgs, war das jedoch nicht.

Auf den Antrag der Vorsteher der jüdischen Gemeinde von Schwerin bekundete der Herzog Friedrich Franz I. schon im November 1811 an den „Engeren Ausschuß der Ritter und Landschaft“ seine Absicht, eine Verordnung mit folgendem Wortlaut zu erlassen:

„Jeder Hausvater jüdischer Religion werde verpflichtet, für sich und seine sämtlichen Kinder einen erblichen, beständigen Familiennamen anzunehmen. Nach Frankreichs Gesetzen darf dieser Geschlechtsname nicht aus dem alten Testamente und nicht von Geburtsstädten entlehnt werden.“
[Silberstein, Siegfried: Die Familiennamen der Juden unter besonderer Berücksichtigung der gesetzlichen Festlegungen in Mecklenburg. In: Jüdisch-Theologisches Seminar Fraenckel’scher Stiftung (Breslau): Festschrift zum 75jährigen Bestehen des jüdisch-Theologischen Seminars Fraenckelscher Stiftung. Band II, Breslau: Verlag M. & H. Marcus, 1929, S. 326.]

Zwei Jahre später erließ der Herzog die später häufig nur als Emanzipationsedikt bezeichnete Verordnung. Diese „Verordnung über die Annahme erblicher Familiennamen durch die Juden in Mecklenburg-Schwerin“ ist in § 4 der „Landesherrlichen Constitution zur Bestimmung einer angemessenen Verfassung der Jüdischen Glaubensgenossen in den Herzoglichen Landen“ vom 22. Februar 1813 enthalten gewesen:

„Alle einländische Juden sollen fortan festbestimmte erbliche Namen führen. Die bereits Privilegirten sollen binnen 4 Wochen den von ihnen gewählten Namen der Obrigkeit ihres Wohnorts anzeigen, welche die intendirte Veränderung solcher Namen Unserer Regierung vorlegen und nach deren Genehmigung auf einmal in den öffentlichen Blättern bekannt machen soll. Auf die Verabsäumung der Anmeldung und Anzeige des anzunehmenden Namens steht die Strafe des Verlustes des bisherigen Privilegii. Von den künftig etwa aufzunehmenden fremden Juden soll der neue Geschlechtsname ebenfalls allemal publicirt werden.“
[Silberstein, Siegfried: Die Familiennamen der Juden unter besonderer Berücksichtigung der gesetzlichen Festlegungen in Mecklenburg. In: Jüdisch-Theologisches Seminar Fraenckel’scher Stiftung (Breslau): Festschrift zum 75jährigen Bestehen des jüdisch-Theologischen Seminars Fraenckelscher Stiftung. Band II, Breslau: Verlag M. & H. Marcus, 1929, S. 325.]

Die Mecklenburger Juden genossen bei der Wahl des Namens größere Freiheiten, als dies in anderen Landesteilen, Fürsten- oder Herzogtümern der Fall war. Insgesamt wurden nur zwei angemeldete Familiennamen abgelehnt: Kamensky und van Tettenborn. Verbote wegen der Verwendung von alttestamentarischen Namen oder Herkunftsbezeichnungen sind nicht vorgekommen.

Die Mecklenburger Juden behielten häufig ihre althergebrachten hebräischen Namen als Familiennamen bei. Im Übrigen kam es hier zur üblichen aschkenasischen Namenswahl wie andernorts auch. Es wurden Herkunftsnamen (Merseburger), Berufsnamen (Goldschmidt), Eigenschafts- (Friedmann), Natur- (Rosenbaum), Pflanzen- (Blumenthal) und Tiernamen (Leo) oder Fantasienamen gewählt oder die bereits existierenden hebräischen Vornamen durch das Anhängen einer Silbe (Jacobson, Josephi, Josephy) erweitert. Es kam allerdings auch dazu, dass innerhalb einer Familie verschiedene Familiennamen gewählt wurden, was eine Rekonstruktion der Verwandtschaftsverhältnisse heute unter Umständen sehr schwierig macht.

Die durch das Emanzipationsedikt festgelegte Veröffentlichung der Namenswahl im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin erfolgte schließlich in den Jahren 1813 bis 1814. Von April bis August 1813 gaben insgesamt 31 Städte, das Amtsgericht für die Landgemeinde Dargun und das Patrimonialgericht für Netzeband (Lehngut Rägelin) die gewählten Namen in den „Schwerinschen öffentlichen Anzeigen“ bekannt. Einige Nachzügler folgten noch von Februar bis August 1814, insgesamt neun Magistrate und das Amt Wredenhagen für das Domanialdorf Rossow. Nie veröffentlicht wurden die Listen von Marlow und der Altstadt Schwerin. Der Grund für die Nichtveröffentlichung ist nur bei Letzterer bekannt. Die Altstadt Schwerin führte einen heftigen Kampf gegen die Aufnahme der Juden als Bürger der Stadt.

Die Originale der Veröffentlichungslisten sind nicht mehr erhalten, da sie bei dem Brand des Schweriner Collegiengebäudes am 1. Dezember 1865 180 vernichtet wurden. Der Landesrabbiner Dr. Siegfried Silberstein konnte diese für die beiden Mecklenburgs – leider häufig nur unvollständig – aus anderen Dokumenten rekonstruieren. Er fasste sie schließlich im „Verzeichniß wegen der von den concessionirten Mecklenburgschen Handels Juden in Gemäßheit der höchsten Herzogl. Constitution vom 22. Febr. 1813 angenommenen erblichen Familien Namen” zusammen.

In den letzten Jahren konnten in einigen Stadtarchiven, so z. B. in Grevesmühlen und Sternberg, die Originalmeldungen oder Kopien davon gefunden werden. Es ist zu vermuten, dass noch weitere existieren.

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(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 20.09.2015)
Quellen:

  • https://de.wikipedia.org/wiki/Preu%C3%9Fisches_Judenedikt_von_1812
  • Francke, Norbert / Krieger, Bärbel: Die Familiennamen der Juden in Mecklenburg: Mehr als 2000 jüdische Familien aus 53 Orten der Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz im 18. und 19. Jahrhundert. Schriften des Vereins für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern e. V., Verein für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern e.V., Schwerin 2001
  • Landeshauptarchiv Schwerin: Rep. 2.12-4/5, Nr. 641, Judenangelegenheiten Mecklenburg-Schwerin
  • Silberstein, Siegfried: Die Familiennamen der Juden unter besonderer Berücksichtigung der gesetzlichen Festlegung in Mecklenburg, Sonderdruck aus der Festschrift zum 75jährigen Bestehen des Jüdisch-Theologischen Seminars Fraenckelscher Stiftung, II. Band, Th. Schatzky A.-G., Breslau 1929