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Abwanderung und Emigration

Die beiden Mecklenburg zählten bis zum 20. Jahrhundert sowohl zu den deutschen als auch den europäischen Ländern mit der höchsten Anzahl an überseeischen Emigranten. Wie in anderen Gebieten setzte auch hier gegen Mitte des 19. Jahrhunderts zusätzlich eine massive Landflucht in die aufstrebenden Großstädte ein. Beide Umstände führten dazu, dass die Bevölkerungsentwicklung in Mecklenburg bis zum 20. Jahrhundert stagnierte. Viele Mecklenburger hatten über die Jahrhunderte hinweg ihr Glück außerhalb Mecklenburgs gesucht, was auch später die Mecklenburger Juden galt.

Da die Mecklenburger Herzöge auf ihre Untertanen angewiesen waren, ist es nicht verwunderlich, dass bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts Auswanderungen grundsätzlich verboten waren. Mecklenburg-Schwerin sah sich zwischen 1760 und 1792 deshalb gleich mehrfach dazu genötigt, der Auswanderung nach Amerika und der Werbung dazu mit herzöglichen Erlassen entgegenzuwirken.

Das alles betraf freilich bis dahin nur die alteingesessene christliche Bevölkerung, denn für Juden insbesondere aus den östlicheren Siedlungsgebieten wie Pommern, Posen und Galizien war Mecklenburg im Gegensatz dazu noch ein Einwanderungsland. So wurden gerade in dieser Zeit die meisten jüdischen Familien und Gemeinden in den Mecklenburger Orten begründet.

Schon im Zeitraum vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Deutschen Revolution 1848/49 sah Mecklenburg eine stärker werdende Aus- und Abwanderung, wobei zunächst Leute vom Lande die größte Gruppe der Emigranten stellte. Denn Grundlage der ländlich geprägten Wirtschaft in Mecklenburg waren seit jeher die Leibeigenen, die auf den Rittergütern und Domänen ihre Fronarbeit verrichteten, den Gutsbesitzern zahlreich zur Verfügung standen und ebenso zahlreich von ihnen beschäftigt wurden. Dies änderte sich im Jahr 1820 mit der Aufhebung der Leibeigenschaft, die zur Folge hatte, dass die Gutsbesitzer nun nur noch so viele Landarbeiter und Mägde beschäftigten, wie sie unbedingt benötigten. Eine erste große Auswanderungswelle war nun die Folge. Es sollten weitere folgen, die später durch den Arbeitskraftbedarf der beginnenden industriellen Revolution verstärkt wurden. Für die Mecklenburger Juden, zumindest soweit es die Landjuden angeht, war in dieser Phase eher noch die umgekehrte Bewegung typisch: Anfang des 19. Jahrhunderts etablierten sich die ersten Schutzjuden, die sich hauptsächlich darum bemühten, in den Städten wirtschaftlich Fuß zu fassen und ihre Familie redlich zu ernähren. Verließen Juden zu diesem Zeitpunkt ihre Heimatstadt oder sogar Mecklenburg, lag das vor allem an einem verweigerten Privileg, wirtschaftlichen Schwierigkeiten oder wegen Wegzugs durch Heirat.

Beginnend mit der Revolution von 1848/49 sah Mecklenburg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts insgesamt drei Auswanderungshöhepunkte: zwischen 1850 und 1855, zwischen 1865 und 1875 und zwischen 1880 und 1885.

Die gescheiterte Deutsche Revolution von 1848/49, die Mecklenburg rechtlich in das 18. Jahrhundert zurückversetzte, trieb nun auch viele außer Landes, die enttäuscht und mit den wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen in Mecklenburg unzufrieden waren. Zu den Landarbeitern als typische Auswanderer kamen nun auch Handwerker, Kaufleute, Geistliche und Akademiker hinzu. Die Auswanderung nach Übersee erreichte deshalb in der ersten Hälfte der 1850er Jahre einen Höhepunkt und nahm zum Teil dramatische Züge an. So verließen beispielsweise in der Nachbarstadt Crivitz im Jahre 1864 innerhalb von zwei Monaten 37 Personen ihre Heimat in Richtung Übersee.

Auch und besonders für die Mecklenburger Juden war das Scheitern der Revolution, mit der sie erneut ihre lang gehegte Hoffnung auf vollständige Emanzipation verbunden hatten, eine Katatrophe, da es ihre Stellung als Bürger zweiter Klasse wieder festschrieb. So trieb sie nicht nur die Aussicht auf einen wirtschaftlichen Neuanfang nach Übersee, sondern vor allem die rechtliche Gleichstellung. Unter den Emigranten dieser Phase sind deshalb nun auch die ersten jüdischen Auswanderer nach Übersee zu finden. Tragischerweise führten viele Emigration auch dazu, dass die jüdischen Nachkommen sich im Ersten Weltkrieg als Soldaten verfeindeter Nationen gegenüber standen.

Gezwungen durch die steigenden Auswanderungszahlen erließen die beiden Mecklenburg bis 1857 diverse Regelungen, die der Emigration zumindest einen rechtlichen Rahmen geben sollten. Zur Auswanderung war fortan ein Konsens der Landesregierung erforderlich, der nur erteilt wurde, wenn zuvor den staatsbürgerlichen Pflichten Genüge getan worden war. Dazu zählte allen voran der abgeleistete Militärdienst. Und doch gab es illegale Auswanderungen aus Mecklenburg, die auf etwa 30% des Gesamtkontingents geschätzt werden.

Neben den Emigrationen gab es im gleichen Zeitraum aber auch schon Abwanderungen aus den Mecklenburger Städten in die aufstrebenden Wirtschaftszentren außerhalb Mecklenburgs.

Das Jahr 1867 und die Folgejahre brachten für Mecklenburg nochmals eine beschleunigte Abwanderung. Die beiden Mecklenburg waren dem Norddeutschen Bund beigetreten und das am 1. November 1867 erlassenen Gesetz über die Freizügigkeit garantierte eine rechtlich unbeschränkte und freie Wahl des Wohnortes innerhalb der Bundesstaaten. Auch wenn nun eine Zeit der Blüte für die Mecklenburger Juden anbrach, läutete wohl gerade das doch das Ende vieler Mecklenburger Gemeinden ein. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Zeiten nahm nun die überseeische Auswanderung zugunsten der Abwanderung in die Großstädte der deutschen Bundesstaaten deutlich ab, da nun viele Mecklenburger die Chancen der Gründerzeit in den aufstrebenden und expandierenden Großstädten nutzen wollten.

Die Auswanderung nach Übersee erlebte in den 1880er und frühen 1890er Jahren nochmals eine Konjunktur. Mit Fortschreiten des 19. Jahrhunderts nahmen dann die Wegzüge insgesamt ab. Dies war aber keineswegs geänderten Bedingungen geschuldet, sondern allein der Tatsache, dass die jüdischen Gemeinden bereits so geschrumpft waren, dass nun kaum noch jüngere Familienmitglieder in Mecklenburg wohnten.

Die Machtergreifung der Nationalsozialisten änderte auch die Einstellung vieler Mecklenburger Juden zu ihrer angestammten Heimat und zwang sie zur Abwanderung ins häufig rettende Ausland oder in die vermeintliche Anonymität der Großstädte. Fast alle der im späteren Zeitraum von 1933 bis 1942 noch belegbaren Wegzüge dürften wohl in allen Fällen als verfolgungsbedingt anzusehen sein. Dies führte in Mecklenburg schließlich dazu, dass bis 1942 nahezu alle Mecklenburger Städte als „judenfrei“ gemeldet wurden.

Die Gründe für einen Wegzug der Juden aus Mecklenburg ähnelten sich vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis in die 1930er Jahre und lassen sich auf einige wenige einschränken. Sie unterschieden sich jedoch bei Frauen und Männern aufgrund ihrer unterschiedlichen sozialen und gesellschaftlichen Stellung zum Teil erheblich. Bei jüngeren Frauen führte vor allem eine Heirat zu einem Wegzug. Bei später Unverheirateten und Witwen war es der Zuzug zu einem außerhalb lebenden Verwandten und bei älteren Frauen die Altersbetreuung und der damit häufig einhergehende Umzug in ein Altersheim. Nur zu einem geringen Teil lagen bei Frauen auch wirtschaftliche Gründe vor. Insbesondere scheint dies aber bei den Emigrantinnen nach Amerika der Fall gewesen zu sein. Auch bei Männern kam es zwar vereinzelt vor, dass sie wegen verzogen. Der weitaus größte Anteil unter ihnen zog jedoch in eine deutsche Großstadt um oder emigrierte sogar ins Ausland wegen einer besseren wirtschaftlichen Perspektive oder der bloßen Hoffnung darauf.

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(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 20.09.2015)
Quellen:

  • Ancestry International (Ancestry.com): Hamburger Passagierlisten, 1850–1934 (Staatsarchiv Hamburg).
  • Francke, Norbert: Gesetzliche Regelungen von Freizügigkeit in und Auswanderung aus Mecklenburg, Eine Auswahl aus den Jahren 1645 bis 1890. In: Institute for Migration and Ancestral Research e. V. (Hrsg.): Back to the Roots: Wanderungen von und nach Mecklenburg. Gründe, Richtungen und Folgen mecklenburgischer Migration. Kolloquiumsmaterialien 1995/96. Rostock: Neuer Hochschulschriftenverlag Dr. Koch & Co KG, 1997, S. 21, 23, 25-41, 56-63.
  • Lubinski, Axel: Zur Geschichte der überseeischen Auswanderung aus dem Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Ziegler, Dieter (Hrsg.): Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte. Band 33 (1992), Ausgabe 2, Berlin: Akademie Verlag, 1992, S. 65, 66.
  • Wiegandt, Max: Die Auswanderung aus Mecklenburg-Schwerin in überseeische Länder, besonders nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika. In: Verein für Mecklenburgische Geschichte und Alterthumskunde, Band 94 (1930), S. 280.