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Emanzipationsedikt

Die Benachteiligung der Juden führte schon im 18. Jahrhundert dazu, dass diese sich um ihre rechtliche Gleichstellung zu bemühen begannen. Erster Ausdruck dessen und des gewachsenen jüdischen Selbstbewusstseins waren die Landtage in Mecklenburg, die die Juden hier 1752 in Malchin, 1764 in Schwaan und 1767 in Crivitz abhielten, mit jedoch nur mäßigen Erfolgen.

Erst im 19. Jahrhundert war für sie die Zeit der Emanzipation gekommen. Als bereits in anderen deutschen Landen die Juden ihre Rechte einforderten oder eingefordert hatten - so waren mit dem Edikt betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem Preußischen Staate vom 11. März 1812 die Preußischen Juden bereits zu Inländern und Staatsbürgern geworden -, traten auch die Juden in Mecklenburg an die Landesfürsten heran. Im Herzogtum Mecklenburg-Schwerin richteten der Oberhofagent Ruben Michel Hinrichsen und der Holzhändler Nathan Mendel, die beiden Vorsteher der Israelitischen Gemeinde in Schwerin, ihre diesbezügliche Petition vom 22. Februar 1811 an den Herzog Friedrich Franz I. mit dem „Antrag auf Erteilung der allgemeinen Staatsbürgerlichen Rechte“.

Gegen den Widerstand der Adelsstände wurden schließlich durch die Herzöge beider Mecklenburgs in den Jahren 1813/14 in Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz entsprechende Emanzipationsedikte erlassen, die den Juden weitergehende Rechte einräumten. Dieser Erlass der „landesherrlichen Constitution zur Bestimmung einer angemessenen Verfassung der jüdischen Glaubensgenossen in den herzogl. Landen“ vom 22. Februar 1813 führte dazu, dass sie praktisch zu gleichberechtigte Landesbürger wurden.

Verbunden mit dieser Emanzipation und dem Edikt war im Übrigen auch die Forderung des Herzogs, dass die Juden nun erbliche Familiennamen anzunehmen hätten, vorrangig aus steuerlichen Gründen im Interesse des Herzogs. Doch auch die Juden selber waren dieser Regelung durchaus zugetan, da sie darin einen Schritt in Richtung bürgerlicher Akzeptanz sahen.

Dieser gesellschaftliche Erfolg der Juden führte jedoch schon bald zu breiten Widerständen, vor allem bei den Ritter- und Landständen, aber auch bei den Magistraten der Städte. Als erste Stadt versuchte Crivitz mit einer Eingabe bei der Landesregierung den Bürgereid und besonders ihre Gewerbefreiheit zu verhindern. Später taten es ihr Güstrow, Laage, Schwerin Neustadt und Altstadt, Rostock, Grevesmühlen, Gadebusch, Wittenburg, Malchin und viele andere mehr gleich. Diese Städte mussten letztlich später durch die Landesegierung dazu angewiesen werden, die Konstitution umzusetzen. Die Schweriner Altstadt weigerte sich erfolgreich gar bis zuletzt. Die Blockaden und Interventionen der Stände und Magistrate hatten in Mecklenburg letzlich die Kassation ihrer errungenen Rechte bereits im Jahr 1817 zur Folge: Am 11. September 1817 musste der Großherzog Friedrich Franz I. auf Druck der Stände seine Regelungen des Emanzipationsedikts vom 22. Februar 1813 wieder aufheben. Damit traten für die Mecklenburger Juden wieder die benachteiligenden Regelungen des LGGEV in Kraft, für sie damit eine Katastrophe.

Die Mecklenburger Juden begnügten sich allerdings nicht mit dieser Situation und versuchten in den Folgejahren immer wieder, ihre rechtliche Lage zu verbessern. So unternahmen die Vertreter der jüdischen Gemeinschaft, Dr. Aarons und Hofgraveur Meyer Löser aus Güstrow, ab 1825 und später auf den Landtagen in den Jahren 1828 und 1830 einen neuen Vorstoß, um ihre staatsbürgerliche Gleichstellung zu erreichen. Es ist zu vermuten, dass der vom Großherzog Friedrich Franz I. veranlasste „Entwurf zur Verordnung über die Verfaßung der jüdischen Glaubensgemeinden in dem hiesigen Lande”, der auf dem im März 1828 in Sternberg stattfindenden Landtag zur Beschlussfassung vorgelegt wurde, zumindest auch durch ihre Aktivitäten zuvor beeinflusst oder sogar initiiert worden war.

Auch wenn die Folgejahrzehnte teilweise rechtliche Verbesserungen für die Mecklenburger Juden brachten, sollten trotzdem noch etwa 40 Jahre bis zu ihrer vollständigen staatsbürgerlichen Gleichberechtigung vergehen.

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(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 20.09.2015)
Quellen:

  • Bernhardt, Hans-Michael: Bewegung und Beharrung: Studien zur Emanzipationsgeschichte der Juden im Grossherzogtum Mecklenburg-Schwerin 1813-1869, Forschungen zur Geschichte der Juden, Reihe A: Abhandlungen Band 7, Dissertation an der Technischen Universität Berlin, Verlag Hahn, Hannover 1998
  • Bollensdorf, Klaus: Rehnaer Miniaturen, Kulturinitiative Maurine-Radegast e. V., Rehna 2001
  • Donath, Leopold: Geschichte der Juden in Mecklenburg von den ältesten Zeiten (1266) bis auf die Gegenwart (1874), Verlag Oskar Leiner, Leipzig 1874
  • Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia: Die Juden von Brüel: Rekonstruktion einer Gemeinde, Cardamina-Verlag, Plaidt 2013
  • Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia: Die jüdische Geschichte der Stadt Sternberg (Mecklenburg), Verlag tredition, Hamburg 2015
  • Hirsch, Heinz: Spuren jüdischen Lebens in Mecklenburg, Reihe Geschichte Mecklenburg-Vorpommern Nr. 6, Friedrich-Ebert-Stiftung Landesbüro Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin 2006
  • Silberstein, Siegfried: Die Familiennamen der Juden unter besonderer Berücksichtigung der gesetzlichen Festlegung in Mecklenburg, Sonderdruck aus der Festschrift zum 75jährigen Bestehen des Jüdisch-Theologischen Seminars Fraenckelscher Stiftung, II. Band, Th. Schatzky A.-G., Breslau 1929
  • Stadtarchiv Schwerin: M 8564, Landtag Sternberg März 1828, Entwurf zur Verordnung über die Verfaßung der jüdischen Glaubensgemeinden in dem hiesigen Lande.