Typische Berufe

Zu Beginn ihrer erneuten Ansiedlung im 17. und frühen 18. Jahrhundert standen die Mecklenburger Juden vor der schwierigen Aufgabe, ihre Familien ernähren zu müssen. Wie überall in ihren Siedlungsgebieten waren die Juden als zugewanderte Minderheit darauf beschränkt, ihren Lebensunterhalt nur mit Tätigkeiten bestreiten zu können, die ihnen rechtlich erlaubt waren oder die die alteingesessene Bevölkerung aus den unterschiedlichsten Gründen nicht betreiben wollte. Erschwerend kam noch hinzu, dass Juden lange Zeit der Besitz von Grundstücken verboten und der Zugang zu den Handwerkszünften für sie ohnehin seit jeher versperrt war. Es blieb ihnen daher nichts weiter übrig, als sich um einen Schutzbrief und ein damit verbundes Privileg zu bemühen und mit Handel ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Das klassische, von Vorurteilen geprägte Bild des Juden als Kleinkrämer hat genau hier seine Wurzeln. Es verkehrt jedoch die Gründe für die Berufswahl der Juden im 18. und frühen 19. Jahrhundert, denn sie hatten schlicht keine andere Wahl.

So mussten sie mit ihren eigenen Landsleuten in engen wirtschaftlichen Bereichen konkurrieren, wodurch bei ihnen vor allem in den kleinen Landstädten Insolvenzen an der Tagesordnung waren. Wegen der wirtschaftlichen Restriktionen ernährten die meisten Juden daher ihre Familien durch zunächst primitivste Handelsgeschäfte.

Doch auch dabei gab es gravierende Unterschiede, die sich bei den verschiedenen Arten der erteilten Handelsprivilegien widerspiegelte: Es gab die Hausier- oder Trödelhändler, Händler „aus offenem Laden“ und die sogenannten „Productenhändler“.

Die Hausierhändler zogen in der Tat Packen tragend auf dem Lande und zu Fuß von Haustür zu Haustür und boten so ihre Waren an – Hausierer im wahrsten Sinne des Wortes. Die Benutzung eines Fuhrwerks war den Hausierhändlern in der Regel nicht gestattet und innerhalb der Städte durften sie nur zu Jahrmärkten ihren Handelsgeschäften nachgehen. Auch wenn diese Hausierer anfangs nur Felle, Lumpen und anderen Trödel feilboten, erfüllte der Hausierhandel durch die Juden später einen wichtigen Beitrag, da sie den ländlichen Erzeugern beim Absatz ihrer Produkte halfen. Die Herzöge drängten später den Hausierhandel immer mehr zurück, da Bürger sich durch die schiere Anzahl sowohl christlicher als auch jüdischer Hausierer belästigt fühlten und es deshalb im Lande nicht mehr erwünscht war. So kam es schließlich bereits 1727 durch ein Regierungsdekret zu einer Einschränkung des Hausierhandels. Der Handel „aus offenem Laden“ bedeutete im Gegensatz zum Hausierhandel eine geringe Verbesserung, da diese Händler in unbegrenztem Maße Handlungsgehilfen beschäftigen durften. Der im Gegensatz dazu privilegierte „Productenhändler“ durfte schließlich noch zusätzlich ein Fuhrwerk für seinen Handel benutzen. Üblicherweise kaufte dieser auf dem Lande in größerem Stil Waren auf, um sie später mit Gewinn bei Einzelhändlern in der Stadt wieder abzusetzen.

Weiterhin zogen noch die „Bandjuden” übers Land - Kleinkrämer, die mit Garn, Nadeln, Knöpfen und Band trödelten und die sie häufig in einem Kasten auf dem Rücken trugen. Ein ebenso typischer Beruf der damaligen Landjuden war der des „Lotterie Collecteurs“, der mit Lotterielosen handelte und wohl eher eine Notlösung war, um die eigene Familie zumindest kläglich ernähren zu können. Diese Betätigung war insoweit ein letzter Ausweg, als dass sie Söhnen von Schutzjuden ohne besondere Konzession erlaubt war.

Soweit es die größere Mecklenburger Städte Schwerin, Rostock und Wismar angeht, waren auch hier vor allem die Händlerberufe vorzufinden. Vereinzelt gab es hier aber schon früh besondere Berufsbilder wie Hofjuden, die häufig finanzielle Angelegenheiten für ihre Herren zu regeln hatten, oder anderweitig am Hof Bedienstete, so wie der Schweriner Hofzahnarzt Marcus Bonheim.

Mit fortschreitender Emanzipation wandelten sich zum Teil die Berufe der Mecklenburger Juden. Diejenigen, denen das Handelsglück nicht hold war, wurden später Handwerker oder Arbeiter, anderen war es durch den Erfolg ihrer Vorgenerationen später vergönnt, ein Studium in den deutschen Großstädten zu absolvieren.

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(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 20.09.2015)
Quellen:

  • Fehrs, Gerd / Jürgen, H. / Benz, Lothar et al.: Antijudaismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit: Aspekte der Geschichte von Juden in Deutschland und Mecklenburg-Vorpommern. Beiträge zu einem Kolloquium des Vereins für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern, Verein für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern, Schwerin 1998
  • Francke, Norbert / Krieger, Bärbel: Schutzjuden in Mecklenburg: ihre rechtliche Stellung, ihr Gewerbe, wer sie waren und wo sie lebten. Schriften des Vereins für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern e. V., Verein für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern e.V., Schwerin 2002
  • Peter, Heidrun: Handel und Gewerbe um die Jahrhundertwende in Sternberg, Beiträge zur Sternberger Stadtgeschichte, Heft 6 (1993), S. 11