Beitrag zum Militär

Eine der wohl einschneidendsten Pflichten eines Mecklenburger Mannes war zweifelsohne der Militärdienst und – wenn die Umstände den Dienstverpflichteten nicht hold waren – auch die Teilnahme an Kriegen. Auch zahlreiche jüdische Mecklenburger leisteten zunächst in den Großherzoglichen Einheiten, später in den Einheiten des Deutschen Reiches ihren Militärdienst und nahmen wohl an fast allen deutschen Kriegen der Neuzeit teil.

Die sich nach der Franzosenzeit anschließenden Napoleonischen Befreiungskriege liefern erste Nachweise für jüdische Soldaten aus Mecklenburg. Bei Napoleons Eroberungszügen in Europa war schließlich auch Mecklenburg im Jahre 1806 durch seine Truppen besetzt worden. Nach der Flucht der Mecklenburger Herzöge wurde das Land einem französischen Gouverneur unterstellt und es begann eine harte Zeit für Mecklenburg. Bestand bisher darüber hinaus keine echte Militärpflicht in Mecklenburg, änderte sich das in der Folgezeit. Nach der Rückkehr der Herzöge und mit dem anschließend erzwungenen Eintritt beider Mecklenburgs in den Rheinbund 1807, der unter Napoleons Protektorat stand, kam es ab 1810 für alle Mecklenburger einschließlich der Juden zur Militärpflicht in Napoleons Grande Armeé. Ob auch Mecklenburger Juden unter den während der Besatzungszeit ausgehobenen Männern waren, ist zwar nicht belegt, dürfte aber nicht unwahrscheinlich sein: Wie überliefert ist, hatten die Mecklenburger Herzogtümer große Schwierigkeiten, das geforderte Truppenkontingent für Napoleon aufzubringen. Wie in solchen Fällen üblich, dürften dabei gerade diejenigen herangezogen worden sein, die niederen Standes oder mittellos waren.

Im März 1813 sagten sich die Herzöge beider Mecklenburgs von Napoleon los und traten an der Seite Russlands und Preußens in den Krieg gegen Napoleon ein. Verbunden damit war der Aufruf der Herzöge zur Bildung von Freiwilligenverbänden gegen Napoleon. Von ca. 300000 Mecklenburgern nahmen danach etwa 1200 als Freiwillige an den Befreiungskriegen teil. Wie ihre christlichen Nachbarn kamen auch die Mecklenburger Juden diesem Aufruf nach. Die meisten von ihnen meldeten sich – nun wieder freiwillig – aus rein patriotischen Gründen zur Befreiung ihrer Heimat oder weil sie unter der Besatzung gelitten hatten. Der eine oder andere versprach sich durch seinen Einsatz möglicherweise auch die Gunst des Landesfürsten und ein damit verbundenes Handelsprivileg in Mecklenburg, welches er andernfalls nie erhalten hätte.

Die erste nachweisbare militärische Bewährungsprobe für die Mecklenburger Juden nach ihrer Neuansiedlung stellten damit diese Napoleonischen Befreiungskriege von 1813 bis 1815 dar. Um ihren Patriotismus unter Beweis zu stellen, bemühten sich insbesondere die Mecklenburger Juden darum, ihren militärischen Beitrag zur Befreiung der Heimat zu leisten. So verfassten die Alt-Strelitzer Juden 1813 eine Bittschrift an die Landesregierung, man möge sie bei der Verteidigung des Vaterlandes beteiligen. Die Neukalener Juden stellten gar in ihrer Heimatstadt die 10. Rotte des Landsturms 2. Klasse auf, in der neben Tagelöhnern vor allem Juden die Mannschaften stellten. Die Gesamtanzahl der jüdischen Teilnehmer bei diesen Kriegen ist bis heute nicht gesichert, aber wie der Güstrower Rabbiner Dr. Donath in seiner „Geschichte der Juden in Mecklenburg von den ältesten Zeiten (1266) bis auf die Gegenwart (1874)” ausführte, wurde anlässlich der Sedanfeier am 2. September 1873 in der Synagoge zu Schwerin eine Gedenktafel enthüllt, die insgesamt 27 Namen (möglicherweise auch nur 26 oder 28) jüdischer Teilnehmer der Napoleonischen Befreiungskriege aus insgesamt 14 Orten aufführte. Schon Donath ging davon aus, dass es wohl weit mehr gewesen sein müssen und auch die bisherige Forschung allein in der Stadt Brüel hat schon gezeigt, dass so einige jüdische Freiheitskämpfer in der Liste unerwähnt geblieben sein müssen. War ihre Zahl insgesamt zwar gering, war prozentual gesehen jedoch der Anteil der Juden in den Reihen der Freiheitskämpfer gegen Napoleon höher, als der der christlichen Teilnehmer aus Mecklenburg. Einige erhielten für ihre Tapferkeit mecklenburgische Ehrenmedaillen. Namentlich überliefert sind jedenfalls als Teilnehmer der Befreiungskriege der Freiwillige Jäger Löser Cohen aus Güstrow, der Freiwillige Husar Heimann Potzernheim aus Fürstenberg, Jacob Salomon aus Penzlin, der Trompeter der dritten Escadron des reitenden Jäger-Regiments Ferdinand Löwenhelm und Simon Liepmann Lichtenstein aus Hagenow, Ferdinand Block (Blond Salomon) aus Bützow, ein Wolf aus Rossow und der Freiwillige Reitende Jäger Hirsch Müller und ein Mann namens Bernhard, beide aus Ribnitz.

Dank der Überlieferung des Freiwilligen Jägers Löser Cohen, eines jüdischen Bildhauers aus Güstrow, ist es heute noch möglich, einen Blick auf das damalige Leben eines kämpfenden Soldaten zu werfen.

Napoleons Eroberungszüge hatten den Europäischen Herrschern die Wichtigkeit einer modernen Armee deutlich vor Augen geführt. Um angriffs- und verteidigungsfähig zu sein, wurden deshalb nach dieser Zeit verstärkt Aushebungen für das Militär durchgeführt, zunächst freiwillig, später im Rahmen einer allgemeinen Militärpflicht. Die für den Militärdienst in Frage kommenden Männer wurden dann in sogenannten Aushebungslisten erfasst, anhand derer der Bedarf der Regimenter gedeckt wurde. Die Aushebungslisten in vielen Mecklenburger Stadtarchiven bezeugen heute noch, dass dazu auch die jüdischen Einwohner herangezogen wurden.

Ein weiterer einschneidender Zeitpunkt war für die Mecklenburger der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71. Belege für eine Teilnahme von Mecklenburger Juden gibt es ebenfalls in zahlreiche Mecklenburger Stadtarchiven (stellvertretend hierfür: Sternberg und Brüel) und im „Gedenkbuch an den Deutsch-Französischen Krieg von 1870-71 für die deutschen Israeliten”. Wie patriotisch auch die Mecklenburger Juden den Sieg begrüßten, belegt ein erhalten gebliebenes Rundschreiben des Landesrabbiners von Mecklenburg-Schwerin, Dr. Salomon Cohn, der alle jüdischen Gemeinden von Mecklenburg dazu aufrief, ein Fest durchzuführen, um – wie er sich dort ausdrückte – die Rückgängigmachung des „zweihundertjährige[n] Raub[es]” Elsass und Lothringens gebührend zu feiern.[Central Archives for the History of the Jewish People Jerusalem: Sternberg S 289/5, Verschiedene Eingaben an die Gemeinde 1871.]

Der Militärdienst war mit der Gleichstellung der Juden ab etwa 1869 in Mecklenburg auch für sie zur Routine geworden. Die meisten männlichen Nachfahren der Mecklenburger Juden wiesen wie ihre christlichen Kameraden in ihrem Lebenslauf stets den „Einjährigen” auf, den einjährigen Militärdienst in den Mecklenburger Einheiten.

Nur wenige Jahrzehnte später stürzten die Nationen im Ersten Weltkrieg mit wehenden Fahnen in den Wahnsinn. Mütter verloren ihre Söhne, Geschwister ihre Brüder, Ehefrauen ihre Männer und Kinder ihre Väter. Mehrere Generationen von Männern wurden dezimiert und die Zurückkehrenden durch Verwundungen für das Leben gezeichnet oder traumatisiert. Wie die meisten Regionen der Kriegsnationen hatte auch Mecklenburg im Ersten Weltkrieg einen hohen Blutzoll zu zahlen. Die während des Ersten Weltkrieges im Armee-Verordnungsblatt veröffentlichten Verlustlisten führen auch zahlreiche jüdische Teilnehmern auf, die aus Mecklenburg stammten und entweder fielen, darunter beispielsweise Emil Löwi aus Neukalen, Arthur und Benno Bock, Walter Heine, Martin Keibel, Hermann Müllerheim und Ernst Robert aus Neubrandenburg, Max Bonheim aus Schwerin, Robert Jacob, Victor und Leopold Lichtenstein aus Grabow, Max und Julius Ascher, Hermann Lichtenstein aus Neustadt-Glewe und insgesamt zehn Rostocker, unter anderem Richard und Franz Josephy, oder die nur verwundet wurden. Dass die vorgenannten Verlustlisten kein vollständiges Bild aller Teilnehmer Sternbergs im Allgemeinen und der Sternberger Juden im Besonderen geben, beweisen Überlieferungen und Briefe überlebender jüdischer Familien. So wurde Ernst Rosenbaum, der letztgeborene Jude von Sternberg, in Hamburg Zeuge der viel beschriebenen Kriegsbegeisterung unmittelbar vor dessen Ausbruch. In einem Brief an seine Eltern am 27. Juli 1914, zu einem Zeitpunkt also, als gerade weltweit die verhängnisvollen diplomatischen Weichen zum Großen Krieg gestellt wurden, schrieb er:

„[...] Nachdem sich heute die Gewitterwolken am politischen Himmel etwas verzogen [...] werdet auch Ihr wohl etwas beruhigter sein, denn ich nehme an, daß diese Tage auch an Euch nicht ohne Aufregung vorübergegangen sind. Ich habe wen[...] solche allgemeine Kriegsbegeisterung noch nicht [...] erlebt wie hier am [...] Abend, an dem sich die Leute wie toll betrugen. Die ganze Stadt war auf den Beinen, man hörte in den Cafe's nur patriotische Lieder und Nationalhymnen, die stets vom Publikum stehend mitgesungen wurden; Reden wurden gehalten, kurz alles war aus dem Häuschen. Jetzt glaube ich aber, ist die schlimmste Gefahr vorüber, wenn sich auch noch manches ändern kann. [...]”

Wie viele andere sollte er sich in seiner Einschätzung irren, er überlebte als deutscher Soldat aber den Ersten Weltkrieg. Doch sein Vaterland dankte ihm seinen Einsatz nicht: Zahlreiche Familienmitglieder wurden später Opfer des Holocaust oder mussten, wie er, sein Heimatland fluchtartig verlassen, um zu überleben.

Bedingt durch die vorangegangenen Auswanderungen des 19. Jahrhunderts hatte der Erste Weltkrieg nicht selten noch zusätzlich eine tragische Komponente: Es konnte durchaus vorkommen, dass Söhne, Enkel oder Großenkel gleicher Vorfahren, die zuvor noch enge verwandtschaftliche Beziehungen über Ländergrenzen hinweg pflegten und sich regelmäßig besuchten, gegeneinander kämpfen mussten.

Bekanntermaßen sollte dem Ersten Weltkrieg als Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts nur einige Jahrzehnte später durch unterbliebene Aussöhnung und deutsche Kriegstreiberei ein erneuter Weltkrieg folgen, der selbst den Vorhergehenden noch in den Schatten stellte. Obwohl der aktuelle Forschungsstand dazu noch unzureichend ist, dürften weite Nachkommen assimilierter Familien der Mecklenburger Juden am Zweiten Weltkrieg teilgenommen haben, soweit sie nicht unter die Repressalien der Nürnberger Rassengesetze fielen. Für deutsche Juden und ihre näheren jüdischen Nachkommen und diejenigen, die von den Nazis als solche angesehen wurden, ging es in dieser Zeit jedoch allein darum, ihre nackte Haut zu retten.

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(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 20.09.2015)
Quellen:

  • Antifaschistisches Jugendbündnis Neubrandenburg: Wider das Vergessen: Jüdisches Leben in Neubrandenburg
  • http://www.alemannia-judaica.de/neubrandenburg_friedhof.htm
  • Schröder, Werner / Schimmel, Wolfgang: Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Neukalen (2010)
  • Deutsche Verlustlisten des 1. Weltkrieges, Armee-Verordnungsblatt, diverse Ausgaben.
  • Donath, Leopold: Geschichte der Juden in Mecklenburg von den ältesten Zeiten (1266) bis auf die Gegenwart (1874), Verlag Oskar Leiner, Leipzig 1874
  • Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia: Die Juden von Brüel: Rekonstruktion einer Gemeinde, Cardamina-Verlag, Plaidt 2013
  • Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia: Die jüdische Geschichte der Stadt Sternberg (Mecklenburg), Verlag tredition, Hamburg 2015
  • Grunwald, Max: Die Feldzüge Napoleons: Nach Aufzeichnungen jüdischer Teilnehmer und Augenzeugen. Wien, Leipzig: Verlag Wilhelm Braumüller, 1913.
  • Hirsch, Heinz: Spuren jüdischen Lebens in Mecklenburg, Reihe Geschichte Mecklenburg-Vorpommern Nr. 6, Friedrich-Ebert-Stiftung Landesbüro Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin 2006
  • Landeshauptarchiv Schwerin: Rep. 5.12-7/1, Mecklenburg-Schwerinsches Ministerium für Unterricht, Kunst, geistliche und Medizinalangelegenheiten (1849–1945), Nr. 7235, Namentliche Aufstellung der jüdischen Kriegsteilnehmer an den Befreiungskriegen 1808–1815.
  • Leo Baeck Institute New York: AR 2054, Heinrich Rosenbaum Collection, 1914–1915; AR 25165, Eva Abraham-Podietz Family Collection, 1767–2004, Box 1, Folder 5; AR 3793, Max Jacobson Family Collection, 1864-1946
  • Lindner, Erik (Hrsg.): Memoiren des Freiwilligen Jägers Löser Cohen: Kriegserlebnisse 1813/1814, Edition Hentrich, Berlin 1993
  • Redaktion der Allgemeinen Zeitung des Judenthums (Hrsg.): Gedenkbuch an den Deutsch-Französischen Krieg von 1870-71 für die deutschen Israeliten. Bonn: Selbstverlag, 1871, S. LXXVIII.
  • Schröder, Frank / Ehlers, Ingrid (Hrsg.): Zwischen Emanzipation und Vernichtung: Zur Geschichte der Juden in Rostock. Schriftenreihe des Stadtarchivs Rostock, Heft 9., Stadtarchiv Rostock, Rostock 1988
  • Stadt Neubrandenburg (Hrsg.): Jüdisches Leben in Neubrandenburg - Spurensuche - Orte der Gewalt, Informationsblatt der Stadt Neubrandenburg, Neubrandenburg 2008