Judenlandtage
Schon kurz nach ihrer Neuansiedlung im 18. Jahrhundert erwuchs bei den Mecklenburger Juden der Wunsch nach Emanzipation und Anerkennung als ansässige Landesbürger. Ausdruck ihres wachsenden Selbstbewusstseins und ihrer diesbezüglichen Bestrebungen waren die jüdischen Volksversammlungen, auch “Judenlandtage” betitelt, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Allein die Benennung ihrer Zusammenkünfte als “Landtage” deutete bereits auf ihren festen Willen hin, endlich Ernst genommen und als gleichberechtigte Einwohner angenommen zu werden: Seit 1275 wurden regelmäßig außerhalb Sternbergs an der Sagsdorfer Brücke bzw. später auch in Sternberg die Mecklenburger Landtage abgehalten, auf denen durch die verschiedenen Machtgruppen innerhalb Mecklenburgs staatsrechtliche Belange und private Interessen verhandelt und zukünftige Vorgehensweisen vereinbart wurden. Die Namensgleichheit war damit durchaus gewollt.
Judenlandtag in Malchin 1752
Auf Veranlassung eines Philipp Lippmanns, dessen Funktion nicht genauer überliefert ist, begann am 1. September 1752 unter Vorsitz des Schweriner Vorstehers Philipp Aaron der erste Judenlandtag in Malchin, jedoch ohne zuvor eingeholte landesherrliche Gemehmigung. Der Ort Malchin war wohl nicht ohne Grund als Versammlungsort gewählt worden: Die schon erwähnten und ursprünglich nur in Sternberg abgehaltenen Mecklenburger Landtage fanden nämlich seit 1628 abwechselnd in Sternberg und Malchin statt. Der auf diesem Landtag von den Juden in Hebräischer Sprache abgefasste “Landtags-Schluß” konnte später allerdings nicht umgesetzt werden, da er keine fürstliche Genehmigung fand. Unter den Teilnehmern und Unterzeichnern des Landtagsbeschlusses befand sich auch der bekanntere Bützower Rabbiner Chaim Friedberg.
Wie der Güstrower Rabbiner Leopold Donath noch später zu berichten wusste, erwählten die Juden trotz der fehlenden Genehmigung vier Deputierte, die die Beschlüsse strafbewehrt und ihrerseits auch notfalls mit Strafen in ihren Gemeinden umzusetzen hatten: R. Josef aus Malchin, R. Natha aus Bützow, R. Lebh Peiser aus Waren und R. Lebh aus Penzlin. Wie das vorangestellte “R.” bei jedem Namen bezeugt, handelte es sich bei ihnen um die Rabbiner der jeweiligen Gemeinden. Letzterer dürfte mit dem in den Bützowischen Nebenstunden des Orientalisten Oluf Gerhard Tychsen erwähnten Dajan und Mitverfasser der frühen jüdischen Gesetze für die Gemeinden von Mecklenburg Lebh Katz identisch sein. Die jüdische Gerichtsbarkeit, die dort vereinbart worden war, wurde aber noch 1755 durch herzogliche Rescript aufgehoben und selbst jüdische Unterzeichner des Beschlusses, so auch ein Jochim Gumpertz (der Bützower Rabbiner Chajim Friedberg), stellten sich später gegen die getroffenen Vereinbarungen. Die Basis des Landtagsbeschlusses war damit nur kurz nach seiner Einigung wieder gescheitert.
Neben den Beschlüssen wurde auf diesem Landtag noch eine weitere, äußerst bemerkenswerte Erklärung abgegeben, mit der man sich sage und schreibe 260 Jahre später zu rechtfertigen versuchte, weshalb die ansässigen Juden den nach dem Sternberger Hostienfrevelprozess von 1492 ausgesprochenen und immer noch bestehenden cherem, den Rabbinischen Bann auf Mecklenburg, nunmehr ignorierten. Es verdeutlicht, wie tief das Wort Sternberg und dieser Vorfall in das jüdische Gedächtnis eingebrannt worden war.
Judenlandtag in Schwaan 1764
Drei Jahre nach dem ersten Judenlandtag war im Jahr 1755 der Landesgrundgesetzliche Erbvergleich abgeschlossen worden, der eher beiläufig auch den Status der inländischen Juden und ihrer Rechte gegenüber der Obrigkeit auf das von Bürgern zweiter Klasse beschränkte, aber immerhin ihre Präsenz in Mecklenburg damit mehr oder weniger akzeptierte. Eine Regelung, wie sich die Juden zu organisieren hatten, traf dieser aber nicht.
Neun Jahre später, genauer am 1. Februar 1764, hielten die Mecklenburger Juden einen weiteren Landtag in Schwaan ab. Bereits ab 5. November 1763 war den Mecklenburger Juden ein eigener Landesrabbiner zugestanden worden, der für die Schlichtung interner Glaubens- und Rechtsstreitigkeiten zuständig sein sollte. Vermutlich deshalb war zuvor dem Oberrabbiner Jeremias Israel durch die Judenschaft der Auftrag erteilt worden, die Unordnung und Streitigkeiten, oder wie Donath sich ausdrückte “Zerfahrenheit und Zerrissenheit”, unter den Mecklenburger Juden auf einem erneuten Landtag zu schlichten. Im Gegensatz zum Malchiner wurde der Schwaaner Landtag diesmal mit fürstlicher Genehmigung abgehalten. Es scheint so, als ob der Versammlungsort auf Betreiben des Schwaaner Bürgermeisters gewählt und genehmigt worden war, der sich davon zusätzliche Einnahmen für seine Stadt erhoffte.
Die Beteiligten erstellten im Ergebnis ein Statut, das aus insgesamt 66 Artikeln bestand und Fragen der Lebens-, Glaubens- und Gemeindeverhältnisse behandelte. Darunter waren Regelungen zur Gliederung und Organisation der Gemeinde, der Kassenführung und Steuererhebung getroffen sowie die rabbinische Gerichtsbarkeit für Juden anerkannt worden. Diese “Ordnung und Statua für die in den Herzoglich Mecklenburgischen Landen wohnenden Schutzjuden” wurden durch den Herzog Friedrich den Frommen (1756-1785) mit fürstlicher Bestätigungsurkunde vom 12. Oktober 1764 bestätigt und erlangten damit verbindlichen Normcharakter. Die Schweriner Juden waren davon jedoch ausgenommen, da diese sich zuvor aus unbekannten Gründen von den Statuten distanziert hatten. Die Anwesenden verabschiedeten am 16. Februar 1764 noch weitere Beschlüsse, welche aber keine fürstlichen Genehmigung mehr erhielten.
Auch hier wurden wieder vier Deputierte gewählt, die die Beschlüsse in den Gemeinden durchzusetzen hatten.
Judenlandtag in Crivitz 1767
Am 6. September 1767 wurde in Crivitz unter Vorsitz Nathan Aarons ein dritter Judenlandtag durchgeführt, auf dem wieder eine starke Opposition, abermals unter Führung Jochim Gumpertz (Rabbiner Chajim Friedberg), gegen die zuvor gewählten Deputierten zugegen war. Auch hier wurden wieder Beschlüsse getroffen, die die Rechte der Mecklenburger Judenschaft geringfügig stärkten. In der Bedeutung blieb er aber hinter dem Schwaaner Landtag insgesamt zurück. Um Kosten zu sparen, war zuvor beschlossen worden, nur insgesamt 16 Deputierte zu diesem Judenlandtag zuzulassen. Wie Tychsen aber berichtet, blieb „fast kein Schutzjuden so wohl hier als an anderen Orten zu Hause, sondern begaben sich auch ungebeten nach Crivitz“.
(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 20.09.2015)
- Busch, Michael / Maiwald, Anke: „Jüdische Gemeinden in Mecklenburg Schwerin im Jahre 1819“ (01.02.2011)
- http://www.wilhelm-mastaler.de/WM-01.htm
- http://www.xn--jdische-gemeinden-22b.de/index.php/gemeinden/m-o/1258-malchin-mecklenburg-vorpommern
- Allgemeine Zeitung des Judenthums, Ein unpartheiisches Organ für alles jüdische Interesse in Betreff von Politik, Religion, Literatur, Geschichte, Sprachkunde und Belletristik, Philippson, Dr. Ludwig (Hrsg.), Dritter Jahrgang, Band 3, Leipzig 1839
- Busch, Michael: Jüdische Emanzipation und ständische Reaktion in Mecklenburg 1755-1813, Manke, Matthias / Münch, Ernst (Hrsg.): Unter Napoleons Adler. Mecklenburg in der Franzosenzeit, Lübeck 2009, S. 363-400.
- Donath, Leopold: Geschichte der Juden in Mecklenburg von den ältesten Zeiten (1266) bis auf die Gegenwart (1874), Verlag Oskar Leiner, Leipzig 1874
- Gelehrte und gemeinnützige Beiträge aus allen Theilen der Wissenschaften, Band 1, Erster Jahrgang, Rostock 1840, Adlers Erben
- Hofmann, Peter: Jüdisches Leben in Mecklenburg-Strelitz, Steffen Verlag, Friedland/Mecklenburg 2007
- Jost, Dr. J. M.: Neuere Geschichte der Israeliten von 1815 bis 1845, mit Nachträgen und Berichtigungen zur älteren Geschichte, Schlesingersche Buch- und Musikhandlung, Berlin 1846