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Gemeindeordnungen

Neben der Annahme der erblichen Familiennamen in den Jahren 1813 und 1814 in Mecklenburg waren die landesherrlichen Erteilungen der Gemeindeordnungen für die Israelitischen Gemeinden Ende der 1840er und Anfang der 1850er Jahre ein weiterer Schritt zur Emanzipation der Mecklenburger Juden.

Freilich waren die Gemeindeordnungen, die in Mecklenburg-Schwerin durch den Großherzog Friedrich Franz II. und in Mecklenburg-Strelitz durch den Großherzog Georg erteilt wurden, keineswegs die ersten Regelungen innerhalb der hiesigen jüdischen Gemeinden. Bestrebungen, einen geregelten rechtlichen Rahmen niederzuschreiben, gab es zuvor schon in den sich langsam entwickelnden jüdischen Gemeinschaften. So hatten sich beispielsweise die Gemeinden Waren (30. April 1830), Teterow (Mai 1836) und Sternberg (Februar 1840) schon eigene Regelungen auferlegt, die fortan von den Gemeindemitgliedern auch respektiert worden waren.

Die Mecklenburger Herrscher wollten sich hier aber ganz offensichtlich nicht das Heft des Handelns aus den Händen nehmen lassen und erteilten allen diesen Selbstverwaltungsbestrebungen eine deutliche Abfuhr, indem sie die bereits bestehenden ignorierten und durch eigene Gemeindeordnungen ersetzten.

Ungeachtet dessen waren diese Regelungen ein Fortschritt, gaben sie doch mit ihrem bloßen Bestehen den Israelitischen Gemeinden von Mecklenburg eine zumindest relative Souveränität gegenüber den Städten und belegten, dass wie die Christen auch die Juden unumkehrbar zu Mecklenburg gehörten.

Die Regelungen der Gemeindeordnungen für die jeweiligen Orte waren, soweit es zumindest die kleineren Städte anging, nahezu identisch und unterschieden sich allenfalls bei der Höhe etwaiger Vergütungen und Beiträge.

Alle jüdischen Einwohner der jeweiligen Stadt wurden automatisch zu Mitgliedern der jeweiligen Gemeinde. Stimmberechtigt waren aber nur — und das entsprach in der damaligen Zeit keineswegs nur den jüdischen Gepflogenheiten — männliche Mitglieder, die entweder das Einwohnerrecht erhalten hatten oder von ihrem Gewerbe oder ihren Renten selbständig lebten.

Unabhängig von der Stimmberechtigung und mit Ausnahme der Synagogendiener hatten Gemeindemitglieder, die finanziell auf eigenen Füßen standen, Beiträge zur Gemeindekasse zu leisten, die aber nach dem Verhältnis ihrer Einkommen variierten. Neumitglieder mussten zusätzlich ein Eintrittsgeld zahlen, das ebenso einkommensabhängig war.

Den Vorstand der Gemeinde bildete ein aus der Gemeinde stammender Vorsteher, der durch die Gemeindeversammlung mit absoluter Stimmenmehrheit für die Dauer von drei Jahren gewählt wurde. Anders als es heute üblich ist, war die Wahl zum Vorsteher bindend und konnte nur unter ganz engen Voraussetzungen abgelehnt werden. Für seine Tätigkeit war zwar eine Erstattung der Auslagen, aber keine Vergütung aus der Gemeindekasse vorgesehen.

Dem Vorstand wurde noch ein Rechnungsführer beiseite gestellt, der ebenso wie der Vorstand für drei Jahre, mit absoluter Stimmenmehrheit gewählt wurde und die Funktion des Kassenwartes der Gemeinde erfüllte. Auch er erhielt mit Ausnahme von Auslagenerstattungen keine Vergütung. Vorsteher und Rechnungsführer wurde noch ein gewählter Gemeindebote beigeordnet.

Die Gemeindeordnung sah ein weiteres, heute ebenfalls unübliches Institut vor: Dem Vorstand wurde als obrigkeitliche Person ein sogenannter Patron zugeordnet. Dies stellte eine erhebliche Beschränkung der Freiheit der Gemeindeentscheidung dar, da der gewählte Vorstand der Gemeinde insbesondere bei Vermögens-, Verwaltungs- und Rechtsbelangen nur zusammen mit dem Patron Entscheidungen treffen und nach außen vertreten konnte. Da dies einer Aufpasserfunktion gleich kam, sollte der Patron auch kein Mitglied der Gemeinde sein, sondern wurde vom jeweiligen Magistrat aus dessen Mitte bestellt. Im Gegensatz zu den anderen gewählten Funktionen erhielt der Patron für jede Sitzung, der er beiwohnte, einen festgelegten Betrag aus der Gemeindekasse.

Gemäß der Gemeindeordnung durften Gemeindeversammlungen nur auf deutscher Sprache abgehalten werden, was wohl nicht nur der Kontrollfunktion des Patrons geschuldet war. Abgesehen davon waren sicherlich nur die wenigsten Gemeindemitglieder des Hebräischen mächtig.

Diese Gemeindeversammlungen dienten den Beschlussfassungen und waren jährlich mindestens zwei Mal, zu Johannis und Michaelis, vorgeschrieben. Die Teilnahme war für die Stimmberechtigten Pflicht und ein Fortbleiben wurde mit einer zur Gemeindekasse zu zahlenden Strafe geahndet. Streitigkeiten, die nicht durch Vorstand und Patron beigelegt werden konnten, hatte die Gemeinde der Großherzoglichen Regierung zur Entscheidung vorzulegen.

Neben der gesetzlichen Pflicht zur Einzahlung in die Ortsarmenkasse beim Magistrat sah die Gemeindeordnung auch das Recht zur Bildung einer zusätzlichen Armenkasse für die Mitglieder der Israelitischen Gemeinde vor.

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(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 20.09.2015)
Quellen:

  • Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia: Die jüdische Geschichte der Stadt Sternberg (Mecklenburg), Verlag tredition, Hamburg 2015