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Hep-Hep-Krawalle

Die Emanzipationsbestrebungen der Juden, die seit dem 18. Jahrhundert auf eine bürgerliche und rechtliche Gleichstellung ausgerichtet war, führten zu einer Gegenbewegung der restlichen Bevölkerung, die schließlich im Jahr 1819 in monatelangen, gewaltsamen Pogromen gegen die Juden kulminierte. Dabei taten sich besonders die Städte Meiningen, Würzburg, Hamburg, Heidelberg, Frankfurt, Kopenhagen, Pressburg/Bratislava und Breslau/Wroclaw hervor.

Die Bezeichnung „Hep-Hep-Krawalle“ ist auf den damaligen judenfeindlichen Ausruf „Hep Hep“ zurückzuführen. Woher diese Phrase stammte, ist nicht eindeutig geklärt. Nach plausibel erscheinender Meinung soll es auf das mittelalterliche „Hep-Hep“ zurückzuführen sein – eine Abkürzung für „Hierosolyma est perdita“ – Jerusalem ist untergegangen. In vielen Teilen der deutschen Lande und noch weit darüber hinaus führten die Ausschreitungen auch zu Opfern unter der jüdischen Bevölkerung. An den Mecklenburger Großherzogtümern gingen diese Krawalle zumindest in der Intensität in anderen Teilen Europas größtenteils vorbei. Auch wenn nach heutigem Kenntnisstand zumindest in Mecklenburg keine Leben zu beklagen waren, gab es belegte Vorfälle, die damit im Zusammenhang standen:

  • Geschehnisse in Güstrow anlässlich des jüdischen Feiertages Jom Kippur, die sich insbesondere gegen einen jüdischen Kaufmann Baer richteten,
  • verbale und schriftliche Ausfälle gegen den Schweriner Juden Ephraim Hollaender
  • sowie ein tätlicher Angriff auf den jüdischen Kaufmann Levin Ladewig aus Crivitz in einem Wirtshaus in Schwerin.

Der 54jährige Levin, der sich im September 1819 vermutlich aus geschäftlichen Gründen in Schwerin aufhielt, wurde damals durch einen Schweriner Bürger in das Gasthaus des Wirtes Stern hereingerufen, wo es anschließend zu beleidigenden äußerungen gegen ihn kam, die sich gegen seine jüdische Herkunft richteten. Schließlich wurde er mit einem Stockschlag auf den Rücken aus dem Wirtshaus geworfen. Die dazu noch erhaltenen Magistratsakten ergeben dennoch ein eher gemäßigtes Bild des Vorfalles. Levin war dadurch verständlicherweise persönlich beleidigt und erstattete Anzeige, die dazu führte, dass der Großherzog und der Crivitzer Magistrat in diesen Vorfall involviert wurden. Letztlich führte das Ganze zu keinem Ergebnis, da die Beteiligten und Zeugen größtenteils keine Angaben machen konnten oder wollten. Auch wenn der Vorfall einen eindeutig rassistischen Hintergrund hatte und seine Gründe in der gerade anlaufenden Gegenemanzipation hatte, macht er rückblickend betrachtet doch eher den Eindruck eines künstlich aufgebauschten Verfahrens, das vor allem durch persönliche Befindlichkeiten und Meinungsverschiedenheiten bei den hoheitlichen Befugnissen von Behörden und Beamten gekennzeichnet war.

Der damals regierende Großherzog des Landes Mecklenburg-Schwerin, Friedrich Franz I., sorgte sich um die Sicherheit in seinem Lande und insbesondere in Schwerin. Die Lage muss in Mecklenburg in der Tat angespannt gewesen sein, wie von Patrouillen in Schwerin beschlagnahmte Aushangzettel, allesamt Schmähschriften gegen die Juden, heute noch verdeutlichen:

„Aufruf an die Schweriner.

1.
Ihr Leute in Schwerin, prügelt die Juden heraus – Hep Hep –
Jagt prügeln sie nach 10 Jahre Euch selber heraus, Hep Hep –
denn all ihr Sinnen und all ihr Trachten – Ist Euch, Ihr Christen, unglücklich zu machen
Hep Hep Hep Hep, – Jud Jud verreck! –

2.
Die Juden die wollen die Christen beschummeln, Hep, Hep! –
dafür wird der Christ auf seiner Rücken ietzt trummeln?, Hep, Hep!
dan wird er wohl schreien o wey o wey! – ! Schlagt Christen nur meinen Genick nicht entzwey
Hep, Hep, Hep, Hep! Jud Jud verreck!

3.
Die Würzburger, die Frankfurter, die Hamburger auch, Hep, Hep. Die machten den Anfang – Vollenden kännt auch, Hep, Hep! Drum Schweriner nun zeiget als Männer Euch auch
Und jaget die Juden zum Thor hinaus
Hep Hep Hep Hep, Jud Jud verreck.

(Breitsprechers Edle)“

[Landeshauptarchiv Schwerin: Rep. 2.26-1, Nr. 7927, Kabinett I, Acta die rücksichtlich der Juden vorgefallenen Unruhen betr.]

Abgesehen von den wenigen Vorfällen hatten die Krawalle in Mecklenburg keine weiteren Auswirkungen, dies aber vermutlich nur deswegen, weil die Konstitution vom 22. Februar 1813, das für die Mecklenburger Juden durchaus bedeutsame Emanzipationsedikt, auf Druck der Stände schon zwei Jahre zuvor am 11. September 1817 wieder aufgehoben worden war. Damit galten ohnehin bereits die rückständigen Regelungen des Landesgrundgesetzlichen Erbvergleichs (LGGEV) von 1755, die die Juden faktisch wieder zu rechtlosen Einwohnern Mecklenburgs machten.

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(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 20.09.2015)
Quellen:

  • Donath, Leopold: Geschichte der Juden in Mecklenburg von den ältesten Zeiten (1266) bis auf die Gegenwart (1874), Verlag Oskar Leiner, Leipzig 1874
  • Graetz, Heinrich: Hep-Hep-Krawalle im Jahr 1819, (Auszug aus „Geschichte der Juden“ (aus Band 11, 2. Auflage von 1900 - S. 334 ff.)
  • Gramenz, Jürgen: Ladewig: Dokumentation eines jüdischen Familienverbandes aus Mecklenburg, Cardamina-Verlag, Plaidt 2013
  • Hirsch, Heinz: Spuren jüdischen Lebens in Mecklenburg, Reihe Geschichte Mecklenburg-Vorpommern Nr. 6, Friedrich-Ebert-Stiftung Landesbüro Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin 2006
  • Landeshauptarchiv Schwerin: Rep. 2.26-1, Nr. 7927, Kabinett I, Acta die rücksichtlich der Juden vorgefallenen Unruhen betr.
  • Silberstein, Siegfried: Die Familiennamen der Juden unter besonderer Berücksichtigung der gesetzlichen Festlegung in Mecklenburg, Sonderdruck aus der Festschrift zum 75jährigen Bestehen des Jüdisch-Theologischen Seminars Fraenckelscher Stiftung, II. Band, Th. Schatzky A.-G., Breslau 1929