Erstbesiedlung
Das historische Gebiet Mecklenburg wurde von Deutschen erst recht spät besiedelt. Bis zur zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts lebten hier die „Wenden”, slawischen Stämme der Obotriten und Leutitier. Im Rahmen der Christianisierung und Germanisierung der östlichen Lande kam dann auch das Gebiet Mecklenburgs schließlich unter deutschen Einfluss, unterstand über die nachfolgenden Jahrhunderte verschiedenen Herren und hatte eine wechselvolle Geschichte. Ab dem Jahre 1701 bestand es dann lange Zeit aus zwei Herzog- und späteren Großherzogtümern – Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz.
Vermutlich bereits mit der Christianisierung und Eroberung Mecklenburgs gegen Ende des 12. Jahrhunderts müssen sich in Mecklenburg die ersten Juden als Händler im Tross der ostwärts gwandten Züge angesiedelt haben. Ein exakter Zeitpunkt lässt sich heute nicht mehr feststellen. Nicht nur der Wille zum Handel muss sie zu einem Wechsel ihres Lebensmittelpunktes nach Osten bewegt haben, sondern auch der seit den Kreuzzügen anschwellende Judenhass und die immer wieder aufflammenden Pogrome in ihren angestammten Gebieten am Rhein.
Den auch heute noch wichtigsten Beitrag zur Bewahrung der jüdischen Geschichte von Mecklenburg lieferte schon im 19. Jahrhundert der früh verstorbene Gelehrte und Rabbiner Dr. Leopold Donath (1842–1876) mit seinem Buch „Geschichte der Juden in Mecklenburg von den ältesten Zeiten (1266) bis auf die Gegenwart (1874)”. Danach lag auch schon für ihn der Zeitpunkt der ersten Ansiedlung von Juden in Mecklenburg im Dunkeln. Wie er aber vermutete, waren die ersten Juden bereits im 13. Jahrhundert aus der Mark Brandenburg und den Ortschaften am Rhein gekommen, um der dortigen Verfolgung zu entfliehen. Die ersten gesicherten Nachweise für eine Sesshaftigkeit von Juden finden sich für das Jahr 1260 in Wismar und in einer Wismarer Urkunde vom 14. April 1266.
In dieser ersten Phase jüdischen Lebens in Mecklenburg, die von der ersten Ansiedlung ab spätestens Mitte des 13. Jahrhunderts bis zur Verbannung im Jahre 1492 andauern sollte, wurden die Juden allzu oft zum Spielball der widerstrebenden Interessen zwischen den Herzögen, den Adelsständen und den stolzen Städten mit ihren selbstbewussten Räten und Bürgern. Die Mecklenburger Fürsten, namentlich Heinrich I. der Pilger als einer der Ersten, erteilten ausgewählten ansässigen Juden ein so genanntes Schutzjudenprivileg – die Gewährung einer hoheitlichen Protektion gegen Geld. Auch die Verleihung des Niederlassungsrechts für die Juden wurde von der Zahlung dieser „Recognitions-Gelder”, wie dieses Schutzgeld damals genannt wurde, abhängig gemacht, das vierteljährlich „preanumerando”, also im Voraus zu zahlen war. Auch wenn der Betrag dieses Schutzgeldes in Höhe von bis zu zwölf Reichstalern eher moderat war, forderte es vielen Juden durchaus einiges gewerbliches Geschick ab, um es in den ersten Jahren ihres Handelsgeschäftes zu erwirtschaften.
Das Schutzgeld war allein schon wegen der überschaubaren Anzahl der Schutzjuden in Mecklenburg nicht ansatzweise staatstragend, stellte aber dennoch einen willkommenen Zufluss für das Staatssäckel dar. Allein schon deshalb war die Intention der Herzöge dahinter nicht ganz uneigennützig, stellte aber nicht den einzigen Grund für die Erteilung solcher Privilegien dar. Denn die Juden sorgten darüber hinaus als Händler für ein besseres Warenangebot in den Städten oder halfen den Fürsten bei ihren Geldgeschäften und ihnen auch so manches Mal als ihre Geldgeber aus der Patsche. Die Fürsten waren sich dessen durchaus bewusst. Neben dem bereits bestehenden Handelsneid der Bürger der Städte auf die Juden rief das nicht selten zusätzlich Missgunst und Abneigung gerade wegen ihrer Nähe zum Fürsten als deren Schutzbefohlene hervor. Und auch die angespannte Lage zwischen den Städten – insbesondere Rostock und Wismar – und den Fürsten taten dazu ihr Übriges.
Das jüdische Leben entwickelte sich trotzdem, wobei wohl in den meisten Städten nur wenige Familien ansässig waren. Allenfalls in Parchim und Krakow am See entstanden in dieser ersten Periode nennenswert große jüdische Gemeinden.
All das endete jedoch mit dem Aufkommen der Pest Mitte des 14. Jahrhunderts. Schnell wurden Sündenböcke gesucht, da man sich das Ausmaß des Leids nicht erklären konnte. Den Juden wurde vorgeworfen, sie hätten die Flüsse und Brunnen vergiftet. So kam es beispielsweise schon 1350 zur einer zeitweiligen Vertreibung der Juden aus den Städten Wismar und Rostock, denen der Vorwand aber ohnehin gelegen kam. Im Rahmen dessen sollte es in den Folgejahren noch zu einigen gewalttätigen Vorkommnissen kommen. In Krakow am See führte ein angeblicher Hostienfrevel um 1325 dazu, dass auf dem dortigen Jörnberg, die beschuldigten Juden zu Tode gerädert wurden und auch in Güstrow kam es aus dem gleichen Grund deswegen 1330 zu Ausschreitungen gegen ansässige Juden, die in der Verbrennung der „Schuldigen“ und der Zerstörung ihrer Synagoge endeten.
Gut überliefert und dokumentiert ist die angebliche Sternberger Hostienschändung aus dem Jahre 1492, als im Mecklenburgischen Sternberg 27 Juden auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden. Dieser Sternberger Vorfall führte letztlich 1492 zur endgültigen Verbannung aller Juden aus Mecklenburg.
(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 20.09.2015)
- Donath, Leopold: Geschichte der Juden in Mecklenburg von den ältesten Zeiten (1266) bis auf die Gegenwart (1874), Verlag Oskar Leiner, Leipzig 1874
- Fehrs, Gerd / Jürgen, H. / Benz, Lothar et al.: Antijudaismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit: Aspekte der Geschichte von Juden in Deutschland und Mecklenburg-Vorpommern. Beiträge zu einem Kolloquium des Vereins für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern, Verein für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern, Schwerin 1998
- Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia: Die Juden von Brüel: Rekonstruktion einer Gemeinde, Cardamina-Verlag, Plaidt 2013
- Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia: Die jüdische Geschichte der Stadt Sternberg (Mecklenburg), Verlag tredition, Hamburg 2015