Sternberger Hostienfrevel
Der Sternberger Hostienfrevelprozess von 1492 war keineswegs der erste Vorfall in Mecklenburg, der Juden verleumdete. Seine geschichtliche Bedeutung und seine überregionale Bekanntheit übersteigt jedoch die der vorhergehenden Pogrome um ein Weites. Er wurde so bekannt, dass die Stadt Sternberg in der Geschichtsforschung heute noch vor allem für den Feuertod und die Vertreibung der Juden und ihre fast 200jährige Abwesenheit in Mecklenburg, jedoch nur selten für die hier später in der Neuzeit existierende jüdische Gemeinde steht. Nur wenige antijüdische Vorfälle in Mecklenburg waren darin derart erfolgreich, die Juden als heimtückische, böswillige und verbohrte Minderheit zu verleumden und zu prägen, wie es der Sternberger Hostienfrevel über Jahrhunderte hinweg vermochte.
Die Legende wurde immer wieder publiziert, wobei häufig nur vom Vorgänger kopiert und nicht selten weitere vermeintliche Fakten dazugedichtet wurden. Die eigentliche Begebenheit ist daher nur schwerlich in einer endgültigen und allumfassenden Form erzählt:
Hauptakteur der Überlieferung war der Sternberger Priester Peter Däne. Dieser hielt sich eine trunksüchtige Köchin und Konkubine. Däne, stets klamm bei Kasse, lieh sich von einem reichen Juden der Stadt namens Eleasar Geld und verpfändete ihm im Gegenzug einen Kochtopf seiner Köchin, Grapen genannt. Sie forderte ihn jedoch lautstark zurück. Eleasar bot Däne einen Ausweg aus seiner verfahrenen Situation an: Er bekäme den Grapen zurück, wenn Däne ihm im Gegenzug zwei geweihte Hostien verschaffen würde. Eleasar plante die Hochzeit seiner Tochter und die Schändung dieser Hostien sollte der Hochzeit zum Höhepunkt gereichen. Däne tat wie ihm geheißen und bekam seinen Grapen. Eleasar und die jüdische Hochzeitsgesellschaft schändeten schließlich die Hostien, in dem sie sie mit Pfriemen stachen und mit Messern traktierten, woraufhin die Hostien bluteten.
Da den Juden ihre Tat nicht mehr geheuer war, übergab Eleasar die geschändeten Hostien seinem Weibe mit dem Befehl, sie zu verbrennen. Doch sie konnte es nicht in den glühenden Backofen tun. Daraufhin versuchte sie sie in den Mühlenbach vor dem Mühlentor zu werfen, dabei sprangen diese aus dem Wasser wieder in ihre Schürze zurück oder aber sie versank dabei mit ihren Füßen in einen großen Feldstein und war gar nicht in der Lage, sie ins Wasser zu werfen. Nachdem sie diese auch nicht hatte vergraben können, brachte sie die Hostien am Dienstag vor Bartholomäi in einem Leuchterkopf, einer hohlen Holzlaterne, zu Däne. Dieser versuchte die Hostien wieder in die Kirche zurückzubringen, konnte es aber ebenso wenig. Da eine unbekannte Macht ihm mit den Hostien in Händen das Verlassen des Fürstenhofs unmöglich machte, vergrub er sie dort noch an Ort und Stelle.
Däne plagten aber fortan des Nachts Alpträume und Visionen. Mehrere Male erschien ihm im Schlaf ein Engel Gottes und brachte ihn dazu, sein Gewissen bei anderen Priestern zu erleichtern und schließlich auch beim Schweriner Dompropst vorzusprechen. Die Kunde drang schließlich zum Bischof des Landes und so musste die Sache den Herzögen Magnus II. und Balthasar vorgetragen werden. Die unweigerliche Untersuchung der Angelegenheit führte zur Verhaftung aller Juden und des Priesters. Nachdem Däne den Ort der Hostien Preis gegeben hatte und diese ausgegraben worden waren, stellte man fest, dass sie zerstochen waren und an ihnen noch das Blut Christi haftete. Man brachte die Hostien in die Marienkirche und legte sie auf den dortigen Altar.
Durch sein Verhalten fiel der Verdacht auf Däne, der flugs die Juden der Tat beschuldigte. Die peinliche Befragung der Juden am 23. Oktober 1492 ließ sie natürlich ein umfassendes Geständnis ablegen, die Urgicht, die noch dazu weitere Ungeheuerlichkeiten hervorbrachte: Die Juden hatten sich zuvor in Teterow und Penzlin noch weitere Hostien beschafft und geschändet und gar einen Mönch dazu bewegt, zum Judentum überzutreten. Sowohl der Penzliner Mönch als auch viele Juden entzogen sich ihrer Strafe durch Flucht. Auch Eleasar entging der Verfolgung, denn er hatte sich schon nach der Aufdeckung abgesetzt und ward nie wieder gesehen.
Den anderen Juden erging es schlecht. Die Verurteilten, insgesamt 25 Männer und zwei Frauen wurden schließlich am 24. Oktober 1492 im Beisein der Landesfürsten auf einen Berg außerhalb der Stadt geführt, um sie ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Mit dem Scheiterhaufen im Blick redete Herzog Magnus nochmals einem Juden namens Aaron ins Gewissen und bot ihm als Ausweg die Taufe an. Doch sowohl er als auch alle übrigen Glaubensgenossen gingen erhobenen Hauptes ihre überlieferten Psalmen singend in den Feuertod. Der Berg wurde fortan nur noch Judenberg genannt. Eleasars Haus an der Ecke der Pastiner Straße gegenüber dem Kirchhofe wurde als weitere Strafe abgerissen und war noch lange Zeit danach brach gelassen worden. Auch Priester Peter Däne entging nicht seiner gerechten Strafe. Er war nach seinem Geständnis nach Rostock gebracht worden und wurde am Freitag nach Gregorii 1493, nachdem er schmählich durch die Stadt getrieben und dabei mit allerlei peinlichen Werkzeugen gezwackt worden war, auf dem Richtplatz auf dem Köppelberg außerhalb Rostocks ebenso dem Feuer übergeben.
Auch wenn alle restlichen Juden von Mecklenburg nach der Untersuchung für unschuldig erklärt wurden, zogen die Herzöge ihr gesamtes Hab und Gut ein und verstießen sie dauerhaft aus dem Lande Mecklenburg. Ihrerseits erzürnt von den Vorgängen legten Rabbiner außerhalb Mecklenburgs fortan einen Bann auf jeden Juden, der sich in Mecklenburg ansiedeln wollte.
Die Vertreibung der Juden aus Mecklenburg diente kurz nach der Tat auch als Vorlage für einen weiteren Pogrom. Herzog Magnus’ Gemahlin, Sophie von Pommern, war die Schwester Herzogs Bogislaws X. von Pommern. Noch im gleichen Jahr zwang dieser alle Juden in Pommern unter dem Vorwand der Sternberger Anklage zur Taufe, vertrieb sie schließlich nach Weigerung aus dem Lande und zog ihr Eigentum ein, obwohl sie zuvor nicht den geringsten Anlass zu Beschwerden gegeben hatten.
War die Sternberger Tat für alle Juden so zum ewigen Trauma geworden, entwickelte es sich im Gegensatz dazu für die geistlichen und weltlichen Machthaber, die Stadt und die Region zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor. Nachdem dem Frevlerprozess durch den gerade aufgekommenen Buchdruck und die deshalb zahlreich veröffentlichten Flugschriften darüber eine ungeahnte mediale Präsenz zuteil geworden war, war die wichtigste Folge des Vorfalles der danach einsetzende Wallfahrtstourismus, der Geld in die Kassen sowohl des Herzogs und der Bischöfe als auch der Stadt spülte. Denn jeder wollte die blutbefleckten Hostien in Augenschein nehmen. Die Heiligblutkapelle und die Fronleichnamskapelle wurden gebaut, ein Augustinerkloster gegründet und es ereigneten sich fortan geradezu unglaubliche Wunder: Blinde wurden sehend, Taube hörend, Lahme gehend, Ertrunkene lebendig, Kranke jeder Art wurden urplötzlich gesund... und es entsprang gar noch eine Wunderquelle. So erlangte Sternberg als Wallfahrtsort in ganz Europa Bekanntheit. Über 30 Jahre hinweg hielt der Spuk an. Erst die Reformation konnte dem Treiben schließlich ein Ende setzen.
Es sollte noch viele Jahrhunderte dauern bis die angebliche Sternberger Hostienschändung und der darauffolgende Prozess als das bezeichnet wurde, das er nach den auch heute noch greifbaren Hinweisen, Quellen und Fakten war: ein vom Aberglauben und mittelalterlichen Vourteilen geprägter und von purer Habgier getriebener Justizmord.
Noch heute kann man an und in der Sternberger Marktkirche die Auswüchse dieses Wahns in Form der „Beweise“ bestaunen: Die hölzerne Tischtafel, auf der die Hostien malträtiert worden sein sollen, und ein Stein mit Fußabdrücken, in den Eleasars Weib damals eingesunken sei. Ein Mahnmal in der Heiligblutkapelle innerhalb der Kirche erinnert heute an diesen Vorfall, der die Geschichte der Stadt Sternberg für immer prägen sollte.
Die eicherne Tischtafel aus Eleasars Gartenlaube, Sternberger Marktkirche (© Jürgen Gramenz).
Die angeblichen Fußabdrücke Eleasars Ehefrau, Außenmauer der Sternberger Marktkirche (© Jürgen Gramenz).
(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 20.09.2015)
- Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia: Die jüdische Geschichte der Stadt Sternberg (Mecklenburg), Verlag tredition, Hamburg 2015