LGGEV

Seit dem Ende des 17. Jahrhundert hatten sich in Mecklenburg wieder zaghaft Juden angesiedelt. Dabei handelte sich aber zumeist nur um wenige Juden, die von den Herzögen eigens zu besonderen Zwecken in die Nähe ihrer Höfe geholt worden waren. Nur diese Juden standen unter Landesschutz und genossen dadurch einige Rechte. Sie erhielten landesherrliche Schutzbriefe und hatten im Gegenzug ein jährliches, später ein quartalsweise zu entrichtendes Schutzgeld zu zahlen, das sogenannte Recognitionsgeld.

Spätestens ab der Mitte des 18. Jahrhunderts erhöhte sich die Anzahl der Juden in Mecklenburg durch Zuzug vor allem aus den östlichen Gebieten bedeutend und wurden damit zu einem Fakt, der in Mecklenburg nicht mehr ignoriert werden und rechtlich unreglementiert bleiben konnte. Das Schutzjudensystem wurde nun auf diese Zuzüge angewendet, war aber streng reglementiert und entsprechende Anträge wurden häufig abgelehnt. Soweit ein Schutzbrief erteilt wurde, der im Übrigen nur männlichen Familienoberhäutpern verliehen wurde, durften sie sich in einer Stadt in Mecklenburg ansiedeln und wurden damit zu inländischen bzw. einheimischen Juden. Die Wahl der Stadt oblag allerdings nicht ihnen selbst, sondern wurde durch die Landesregierung anhand der jeweils in einer Stadt vorhandenen Anzahl der Händler entschieden und bestimmt.

Fremde, durch das Land reisende Juden, wurden nach der Herzoglichen Verordnung von 1717 zur Zahlung eines Leibzolls oder Geleitsgeldes von 12 Reichstalern bei der Zollstätte herangezogen. Diejenigen aber, denen ein Schutzbrief verweigert worden war, die ohne Wissen der Landesregierung nach Mecklenburg eingewandert waren oder ohne Gestattung das Land durchquerten, galten als fremde Juden, die sich damit illegal im Lande aufhielten. Wenn man ihrer habhaft wurde, warf man sie zumeist ins städtische Gefängnis und verweis sie später des Landes. So hinausgeworfen wartete auf sie in der neuen Zuflucht häufig nur das gleiche Schicksal.

Abgesehen von ihrem städtischen Wohnrecht und ihrem Handelsprivileg entsprach die Rechtsstellung der inländischen Schutzjuden durchaus Landesbürgern zweiter Klasse. Sie waren damit aber nicht allein, denn auch andere gesellschaftliche Gruppen und sogar die Frauen selbst waren benachteiligt, denn die feudalistische Gesellschaft war gleichzeitig auch eine rein patriarchalische.

Im Jahr 1755 wurde der Landesgrundgesetzliche Erbvergleich für Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz abgeschlossenen. Der LGGEV stellte fortan die grundlegende Verfassung für Mecklenburg dar und regelte die Rechte und Pflichten der Einwohner, Staatsorgane und verschiedenen Parteien untereinander und erwähnte in einem der insgesamt 530 Paragraphen auch die Juden. Er verdeutlichte damit nochmals, dass sie zu einem festen und beständigen Faktor in Mecklenburg geworden waren.

Ein echter Fortschritt für die Rechtsstellung der Juden war er nicht, denn er zementierte mit seiner Regelung teilweise noch die rechtliche Benachteiligung. Die Landesregierung war damit den Städten und den Ständen entgegengekommen, die aus unterschiedlichen Gründen gegen eine Ansiedlung von Juden gewesen waren. Genau dies wurde auch so im $ 377 LGGEV erklärt. Der Regelungsgehalt dieses Paragraphen war zwar gering, hatte aber eine grundlegende und lang andauernde Wirkung für die Juden: Anders als zuvor durften sie nun Häuser erwerben, jedoch keinerlei Grund und Boden dazu (§ 377 LGGEV). Es schränkte damit die bisherige Praxis, dass Juden keine liegenden Gründe erwerben dürften, nur unerheblich ein, ermöglichte ihnen aber nun zumindest Wohneigentum in den Städten. Darüber hinaus wurden im LGGEV jedoch keine weiteren Regelungen bezüglich der Juden getroffen, was damit bedeutete, dass die uralten Benachteiligungen, wie z. B. der Ausschluss von Juden von den Handwerkszünften, fortbestehen sollten.

Die andauernde rechtliche Benachteiligung gegenüber der übrigen Bevölkerung führte schließlich wie in vielen anderen europäischen und deutschen Ländern auch in Mecklenburg zu einer Emanzipationsbewegung der Juden.

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(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 20.09.2015)
Quellen: