Sternberg

Zur jüdischen Geschichte von Sternberg


Die Stadt Sternberg blickt auf eine lange jüdische Geschichte zurück. Hinweise auf hier ansässige Juden sind bereits aus der ersten Phase der jüdischen Ansiedlung zu finden. Die ersten vagen Indizien dafür stammen zwar schon aus dem 14. Jahrhundert, doch erst mit dem Sternberger Hostienschändungsprozess von 1492, mit dem die Stadt bis heute stets in Verbindung gebracht wird, liegen eindeutige Beweise für eine hiesige jüdische Gemeinde vor. Ein erster jüdischer Friedhof könnte in dieser Zeit im Bereich des heutigen Judenberges am Rande der Stadt existiert haben.

In der Phase der jüdischen Wiederansiedlung nach der auf den Hostienschändungsprozess folgenden, Vertreibung aller Juden aus Mecklenburg und deren fast 200jährigen Abwesenheit wurde Sternberg im Gegensatz zu den anderen Mecklenburger Städten erst spät von Juden wiederbesiedelt. Inwieweit das mit dem Prozess in Zusammenhang zu bringen ist, kann nicht mehr sicher geklärt werden. Es existieren jedoch Aussagen, nach denen sich die hier in Mecklenburg ansiedelnden Juden sich des Vorfalles noch sehr wohl bewusst waren. So sah sich der Malchiner Judenlandtag noch 1752 dazu genötigt, sich aufgrund des, dem Vorfall nachfolgenden und immer noch bestehenden Rabbinerbannes auf Mecklenburg zu rechtfertigten.

Für zumindest kurze Zeit in Sternberg ansässige Juden gibt es bereits aus den Jahren 1721 bis 1765 vage Hinweise. Um 1765 waren in Sternberg nachweislich zwei Schwaaner Judenfamilien ansässig, die aufgrund des Großbrandes in ihrer Heimatstadt ohne Obdach geblieben waren und daraufhin von der Landesregierung eine zeitlich begrenzte Niederlassungserlaubnis für Sternberg erhalten hatten. Der erste offizielle Schutzjude namens Simon Nathan siedelte sich hier 1783 an. Ihm folgten bis 1813 noch weitere, die zumeist zu Stammahnen der hier später bekannten jüdischen Familien wurden.

Die vom Emanzipationsedikt geforderte Annahme erblicher Familiennamen erfolgte am 23. April 1813. Originär hier angenommene Familiennamen waren Arends (Ahrens), Lewenthal (Löwenthal), Freudenfeldt (Freudenfeld), Rosenbaum und Waldheim.

Spätestens mit Beginn des 19. Jahrhunderts kann von einer echten jüdischen Gemeinde in Sternberg gesprochen werden. Ab etwa 1800 wurde auf dem Kunstwall ein jüdisches Badehaus (Mikwe) betrieben. Am 25. Januar 1825 wurde mit der Stadt ein Erbpachtvertrag über das am Judenberg gelegene Gelände des heute noch vorhandenen jüdischen Friedhofs geschlossen. Im Februar 1840 erließ die Israelitische Gemeinde von Sternberg eine eigene Gemeindeordnung, die aber am 17. März 1846 durch eine landesherrliche Gemeindeordnung ersetzt wurde.

Die ersten Gottesdienste wurden in angemieteten Räumlichkeiten abgehalten, vermutlich in einer örtlichen Gaststätte. 1853 wurde der Beschluss zum Bau einer eigenen Synagoge gefasst, die 1855 vollendet wurde. Trotz zahlreicher Spenden und diverser Kredite stürzte der Bau die Israelitische Gemeinde dauerhaft in eine finanzielle Notlage, die auch durch die Beiträge der Gemeindemitglieder nicht endgültig ausgeglichen werden konnte. Der verstärkte Wegzug jüdischer Einwohner nach 1850 aus Sternberg tat sein Übriges.

Wie viele andere Mecklenburger Gemeinden überalterte und schrumpfte die Israelitische Gemeinde von Sternberg bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts noch weiter. Schon 1913 kam es deshalb seitens des Israelitischen Oberrates zu ersten Überlegungen zur Auflösung der hiesigen Gemeinde, die aber noch nicht ernsthaft in die Tat umgesetzt wurden. 1924 kam es dann zu einem ernsthafteren Versuch, die letzten drei, in Sternberg noch ansässigen Gemeindemitglieder zu einer Auflösung der Gemeinde und zum Verkauf des Synagogengebäudes zu bewegen. Den Mitgliedern gelang es, sich der drohenden Auflösung zu widersetzen. Bei ihrer Begründung wiesen sie insbesondere auf die hohe Anzahl ostjüdischer Studenten des örtlichen Technikums hin, die der Gemeinde in der Tat zwischenzeitlich frisches Leben eingehaucht hatten. Darüber hinaus leisteten diese Studenten unter anderem auch Beiträge zur baulichen Erhaltung der Synagoge.

Abgesehen von den üblichen Ausschreitungen am Tage des „Judenboykotts“ am 1. April 1933, so gegen die Filiale des überregionalen Getreidehandelsunternehmens Löwenthal, Nord & Co. und gegen die wenigen jüdische Händler im Ort, blieb der Bestand der Restgemeinde danach bis zum Nationalsozialismus mehr oder minder unbehelligt. Aufgrund der sich nun verschlimmernden politischen Lage für Juden war klar, dass den Resten der nur noch auf dem Papier existenten Israelitischen Gemeinde keine Daseinsberechtigung mehr gelassen werden würde. Nach zähen Verhandlungen des Israelitischen Oberrates mit der Stadt wurde das Synagogengebäude 1937 an diese verkauft, welches es noch im gleichen Jahr abriss. Im gleichen Jahr fand die letzte Bestattung, der verstorbene Sternberger Kaufmann Hermann Kychenthal, auf dem jüdischen Friedhof in Sternberg statt, und zwar wegen der politischen Verhältnisse in der Nacht. 1940 verließ der letzte in Sternberg noch ansässige Jude, Arnold Rosenbaum, gezwungenermaßen die Stadt in Richtung Hamburg. Noch im gleichen Jahr erklärte sich die Stadt Sternberg für „judenfrei“. Wie Arnold Rosenbaum wurden auch viele Sternberger Juden oder deren Nachkommen in der Folgezeit Opfer des Holocausts. Kein Überlebender kehrte je wieder nach Sternberg zurück.

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(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 21.09.2015)
Quellen:

  • Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia: Die jüdische Geschichte der Stadt Sternberg (Mecklenburg), Verlag tredition, Hamburg 2015

Jüdische Bevölkerungsentwicklung in Sternberg


Jüdische Bevölkerungsentwicklung in Sternberg

Familien mit Bezug zu Sternberg


Ahrens (Josephy), Ahrens (Nathan), Amsberg, Behrens, Bentzien, Cohn, David, Frank, Freudenfeld, Friedländer, Gowa, Hirsch, Josephy, Kychenthal, Lazarus, Levy, Loeb, Löwenthal, Marcus, Müller, Nord, Philipps, Rosenbaum, Rosenberg, Samuel, Seckel, Simonis, Valk, Waldheim, Würzburg, van Damm

Persönlichkeiten


Bekannte Holocaust-Opfer (5)


  • Herbert Friedrich Ahrens
  • Paul Löwenthal
  • Kaufmann Arnold Rosenbaum
  • Anna Waldheim
  • Rechtsanwalt Dr. jur. Leopold Waldheim

Veröffentlichungen zu den Juden von Sternberg


Publikationen


  • Adreßbücher über und für den Gewerbe- und Handelsstand der Großherzogthümer Mecklenburg-Schwerin und Strelitz
  • Mercantilisches Addreßbuch der Großherzogthümer Meckl.-Schwerin u. -Strelitz, worin: die Addressen der Magistratspersonen der Städte, der weltlich obrigkeitlichen Beamten der Flecken, der Accise- und Postbeamten, fremden Consuls, Advocaten, Apotheker, Kaufleute, Fabrikanten, Manufacteurs, Buchhändler, Gasthofinhaber und anderer dazu qualificirende Handels- oder industrielle Geschäfte treibende Leute in den Großherzopthümern, wie auch: bei jedem entsprechenden Orte Angabe seiner Wolkszahl, Meilenzeiger, Notizen über Schiffs-, Fuhrgelegenheiten etc.
  • Heimatverein Sternberg e. V.: Beiträge zur Sternberger Stadtgeschichte
  • Geschichte der Juden zu Sternberg mit dem Sakrament. A Tale of the Jews of Sternberg with the Consecrated Host: A Facsimile of the Pamphlet Printed in Lübeck Around 1492 (Originaltitel: Sterneberch. Vä den bosen joden volget hyr eyn gheschicht || Dar to vä den sule eyn merklich ghedycht.)
  • Arlt, Klaus / Beyer, Constantin / Ehlers, Ingrid / Etzold, Alfred / Fahning, Kerstin Antje: Zeugnisse jüdischer Kultur. Erinnerungsstätten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen
  • Bard, August Friedrich: Die Geschichte der Stadt Sternberg von den Anfängen bis zur Gegenwart
  • Borchert, Jürgen / Klose, Detlef: Was blieb... Jüdische Spuren in Mecklenburg
  • Buddrus, Michael / Fritzlar, Sigrid: Die Städte Mecklenburgs im Dritten Reich: ein Handbuch zur Stadtentwicklung im Nationalsozialismus, ergänzt durch ein biographisches Lexikon der Bürgermeister, Stadträte und Ratsherren
  • Dörwaldt, Johannes: Das Blut von Sternberg
  • Franck, David: Gründlicher und Ausführlicher Bericht Von denen durch die Jüden zu Sterneberg Anno 1492 zerstochenen und dahero Blutrünstigen Hostien
  • Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia: Die jüdische Geschichte der Stadt Sternberg (Mecklenburg)
  • Gutzmer, Michael: Bericht von denen zum Sterneberge für der Stadt auffm Judenberge verbrannten Juden
  • Hübner, Johannes: Mons Stellarum: sive historia de hostia Sternbergensi, a Judaeis anno 1492
  • Kasten, Bernd: Verfolgung und Deportation der Juden in Mecklenburg 1938-1945
  • Schmidt, Karl: Das heilige Blut von Sternberg, Schriften für das deutsche Volk, Band 18
  • Backhaus, Fritz: Die Hostienschändungsprozesse von Sternberg (1492) und Berlin (1510) und die Ausweisung der Juden aus Mecklenburg und der Mark Brandenburg (1988)
    In: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte Bd. 39 (1988) S. 7-26
  • Deeters, Dorothea Elisabeth: Jüdische Gutsbesitzer in Pommern 1830 bis 1936
    In: Heitmann, Margret / Schoeps, Julius H. (Hrsg.): „Halte fern dem ganzen Lande jedes Verderben ...“: Geschichte und Kultur der Juden in Pommern, Hildesheim/Zürich/New York 1995, S. 279-296
  • Honemann, Volker: Die Sternberger Hostienschändung und ihre Quellen (2008)
    In: Honemann, Literaturlandschaften S. 187-216
  • Lisch, Georg Christian Friedrich: Zur Geschichte der Judenverbrennung in Sternberg (Nachtrag zu Jahrbüchern XII, S. 211 flgd. und 259)
    In: Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde, Band 44 (1879), S. 45-47
  • Lisch, Georg Christian Friedrich: Hauptbegebenheiten in der ältern Geschichte der Stadt Sternberg
    In: Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde, Band 12 (1847), S. 187-306
  • Möhlmann, Diedrich: Zur ältern Geschichte der Stadt Sternberg (Nachtrag)
    In: Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde, Band 21 (1856), S. 71-78
  • Peter, Heidrun: Hostienschändungsprozeß - Judenverbrennung in Sternberg 1492
    In: Beiträge zur Sternberger Stadtgeschichte, Heft 2 (1992), S. 11-14
  • Peter, Heidrun: Zur Geschichte des Grundstückes Mühlenstraße 6 - heute Heimatmuseum der Stadt Sternberg
    In: Beiträge zur Sternberger Stadtgeschichte, Heft 1 (1992), S. 11, 12
  • Salinger, Gerhard: Jüdische Gemeinden in Hinterpommern
    In: Heitmann, Margret / Schoeps, Julius H. (Hrsg.): „Halte fern dem ganzen Lande jedes Verderben ...“: Geschichte und Kultur der Juden in Pommern, Hildesheim/Zürich/New York 1995, S. 37-75
  • Schmied, Hartmut: Äußerst wundersame Fußabdrücke
    In: Nordkurier, Ausgabe vom 12.08.2007
  • Voß, Gerhard: Jüdische Friedhöfe in Mecklenburg – eine Bestandsaufnahme
    In: Studienhefte zur Mecklenburgischen Kirchengeschichte, Heft 1 (1993), S. 5-15

Dokumente mit Bezug zu den Juden von Sternberg


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Beschreibung Zeitpunkt/Zeitraum Typ
Auszug aller privilegirten Juden und was selbige Laut der, mittelst Herzoglich Verordnung vom 20. Septbr. 1760 Communicirten Specification An Schutz-Geld Zur Herzoglich. Renterey von Anno 1749 bis zum Termino Trinitatis 1760 bezahlet haben, und darauf nach infinuation gedachter Specification, nemlich den 1ten Octobr. 1760 Restiren. 1749-1760 Transkript
Entwurf einer Gemeindeordnung für Sternberg vom Februar 1840 1840 Transkript
Erbpachtvertrag über den jüdischen Friedhof Sternberg vom 21. Januar 1825 21. Januar 1825 Transkript
Gemeindeordnung der Israelitischen Gemeinde von Sternberg vom 17. März 1846 17. März 1846 Transkript
General-Verzeichniß der in den Städten des Großherzogthums Mecklenburg Schwerin privilegirten sämmtlichen Schutz-Juden 3. Januar 1825 Transkript
Liste der Gemeindevorsteher, Rechnungsführer und Patrone von Sternberg 1825-1940 Zusammenfassung
Liste der Religionslehrer und Kultusbeamten von Sternberg 1818-1883 Zusammenfassung
Liste der ehemaligen jüdischen Studenten des Sternberger Technikums von 1924 1924 Transkript
Schreiben der Mecklenburger Judenschaft anlässlich des bevorstehenden Landtages in Sternberg 1847 1847 Transkript
Verkaufsvertrag über den jüdischen Friedhof Sternberg vom 20. Mai 1944 20. Mai 1944 Transkript