Grevesmühlen
Zur jüdischen Geschichte von Grevesmühlen
Die Ort Grevesmühlen gehört zu den ältesten Städten in Mecklenburg. Auch wenn es derzeit keinerlei Hinweise gibt, erscheint es deshalb als nicht ausgeschlossen, dass hier bereits während der Zeit nach der jüdischen Erstbesiedlung Mecklenburgs Juden beheimatet gewesen sein könnten. Greifbare Nachweise für jüdische Einwohner in der Stadt liegen aber erst aus der Phase nach der jüdischen Wiederbesiedlung vor.
Die ersten offiziell geduldeten Schutzjuden ließen sich hier kurz nach der Mitte des 18. Jahrhunderts nieder. Wie eine landesweite Steuerliste vom 1. Oktober 1760, die alle Schutzjuden des Landes aufführt und den gesamten Zeitraum von 1749 bis 1760 abdeckt, dürfte ein Kalckmann Jochim der erste Schutzjude in Grevesmühlen gewesen sein, der sein Privileg für Grevesmühlen am 2. März 1756 erhalten hatte. Kurz nach ihm folgte ein Samuel Levien mit seinem Schutzbrief vom 9. März 1756. Beide hatten jährlich die üblichen zwölf Reichtaler als Schutzgeld zu zahlen.
In den Folgejahrzehnten müssen noch weitere Schutzjuden zugezogen sein, denn bei der Annahme der erblichen Familiennamen auf der Grundlage des Emanzipationsedikts im Jahr 1813 erfolgten am 13. Mai 1813 über Grevesmühlen Meldungen von nun schon insgesamt sieben Schutzjuden, die sich folgende Familiennamen erwählt hatten: Aarons, Friedheim, Hinrichs Levissohn, Lewenthal (später Löwenthal), Pincus und Rosenthal. Diese Annahme von erblichen Familiennamen war eine Forderung des Emanzipationsedikts vom 22. Febuar 1813 gewesen, das den Mecklenburger Juden nahezu gleiche Rechte wie der christlichen Bevölkerung zusicherte. Auch wenn die Rechte der Juden schon 1817 wieder kassiert wurden, behielten diese ihre erblichen Familiennamen bei.
Die Zahl der Schutzjuden wuchs noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts weiter. So belegt eine Schutzjudenliste von 1825, das Generalverzeichnis der in den Städten des Großherzogtums Mecklenburg Schwerin privilegierten Schutzjuden, dass in Grevesmühlen in diesem Jahr insgesamt neun Schutzjuden mit ihren Familien ansässig waren: Baruch Simon Aaron, Levin Pincus, Abraham Levison, Marcus Friedheim, Simon Hinrichs, Joseph Löwenthal, David Abraham Friedheim, Levi Friedheim und Wulff David Rosenthal.
Die jüdische Gemeinde von Grevesmühlen erhielt erst sehr spät einen eigenen jüdischen Friedhof. Im 18. Jahrhundert musste sowohl die Grevesmühlener Judenschaft als auch die jüdischen Nachbargemeinschaften von Rehna und Gadebusch ihre Toten im fernen Schwerin bestatten. Als Ende 1799 Rehna einen eigenen jüdischen Friedhof errichten durfte, war dieser dann zukünftig auch für Gadebusch und Grevesmühlen zuständig. 1856 übernahm die jüdische Gemeinde von Grevesmühlen ein Grundstück als Bestattungsplatz in der Nähe des Vielbecker Sees am Vielbecker Weg, erhielt aber erst 1877 die Genehmigung, diesen auch belegen zu dürfen. Eine eigene Synagoge wurde in Grevesmühlen erst 1873 errichtet. Dass dies hier so spät erst geschah, dürfte mit der um 1870 durchgeführten Trennung der Gemeinde Grevesmühlen von der Gesamtgemeinde mit Rehna und Gadebusch zusammengehangen haben. Die Gemeinden von Rehna und Gadebusch blieben jedoch bis zur Auflösung der Rehnaer Gemeinde zusammen.
Die jüdische Gemeinde von Grevesmühlen zählte nur kurze Zeit zu den größeren Landgemeinden in Mecklenburg, ging körperschaftlich jedoch vergleichsweise früh wieder ein. Im Jahr 1810 verfügte die Gemeinde über ca. 35 Mitglieder. Danach verzeichnete diese einen starken Anstieg bis zu ihrem Höchststand in den Jahren zwischen 1845 bis 1850 mit knapp 100 Gemeindemitgliedern. Die Mitgliederzahl fiel jedoch danach rapide bis 1887 auf etwa zehn Mitglieder ab. Die Gemeinde war daher früh finanziell nicht mehr tragbar. Sie wurde deshalb auf Antrag vom 3. Januar 1887 schon am 11. März 1887 oder 15. Mai 1887 aufgelöst. Die verbliebenen Gemeindemitglieder schlossen sich vermutlich der Schweriner Gemeinde an, da diese 1933 nachweislich zu Schwerin gehörten. Das Geburtsregister, die Gemeindeakten und -Siegel wurden der Anschlussgemeinde übergeben. Der Erlös aus dem Verkauf der Synagoge im Jahr 1887 sowie das vorhandene Vermögen wurden auf den Namen der Anschlussgemeinde angelegt. Die dadurch erzielten Zinsen sollten auf die Juden von Grevesmühlen und ihre Verpflichtungen aufgewendet werden.
Zur Zeit der Machtergreifung der Nationalsozialisten lebten noch vier jüdische Einwohner in Grevesmühlen, darunter die Familie des Textilkaufmanns und Kaufhausbesitzers Max Salomon. Nachdem diese 1935 vor den Repressalien in die Niederlande geflohen waren, endete auch die jüdische Geschichte von Grevesmühlen. Während der NS-Zeit wurde der jüdische Friedhof restlos zerstört. Mindestens acht ehemalige Grevesmühlener wurden Opfer des Holocaust. Bisher wurden keine Stolpersteine in der Stadt verlegt. Das städtische Museum von Grevesmühlen beherbergt eine Ausstellung, in der auch die jüdische Geschichte der Stadt behandelt wird. Im Jahr 2014 wurde ein beachtenswertes Schülerprojekt des Gymnasiums Am Tannenberg Grevesmühlen mit Unterstützung der Stadt und der Amadeo Antonio Stiftung durchgeführt. Neben einer Ausstellung zur Aktionswoche gegen Antisemitismus wurde auch die Website „Auf den Spuren Jüdischer Geschichte in Grevesmühlen“ ins Leben gerufen.
(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 06.05.2017)
- Arlt, Klaus / Beyer, Constantin / Ehlers, Ingrid / Etzold, Alfred / Fahning, Kerstin Antje: Zeugnisse jüdischer Kultur. Erinnerungsstätten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, Wichern-Verlag, Berlin 1992
- Bollensdorf, Klaus: Rehnaer Miniaturen, Kulturinitiative Maurine-Radegast e. V., Rehna 2001
- Brocke, Michael / Ruthenberg, Eckehart / Schulenburg, Kai Uwe: Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), Institut Kirche und Judentum, Berlin 1994
- Francke, Norbert / Krieger, Bärbel: Die Familiennamen der Juden in Mecklenburg: Mehr als 2000 jüdische Familien aus 53 Orten der Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz im 18. und 19. Jahrhundert. Schriften des Vereins für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern e. V., Verein für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern e.V., Schwerin 2001
- Guderian, Dieter: Die Löwenthals: eine jüdische Familie aus Mecklenburg, Cardamina-Verlag, Plaidt 2006
- Landeshauptarchiv Schwerin: Rep. 2.12-4/5, Nr. 632, 665 (Judenangelegenheiten);Rep. 5.12-7/1, Nr. 9018, 9050 (Meckl.-Schwerin Ministerium für Unterricht, Kunst, geistliche Angelegenheiten)
- Zeitschrift „Der Israelit“ vom 22. November 1894
Jüdische Bevölkerungsentwicklung in Grevesmühlen
Familien mit Bezug zu Grevesmühlen
Aaron/Aarons, Abraham, Abrahamsohn, Ahrens, Amsberg, Arons, Baruch, Behrend, Benjamin, Berndt, Dennhardt, Engel, Friedheim, Goldberg, Goldschmidt, Heimann, Heinrich, Hesse, Heyne, Hinrichs, Hirsch, Hirschberg, Isaac, Israel, Itzig, Jacobson, Joachim, Joseph, Josephy, Ladewig, Levin, Levison/Levissohn, Lewenthal/Löwenthal, Löwenstein, Marcus, Matthies, Meyer, Peiser, Pincus, Pries, Quade, Robert, Rosenstein, Rosenthal, Ruben, Salomon, Samuel, Schendel, Schöning, Solmitz, Steinweber, Szafranski
Persönlichkeiten
- Grevesmühlener Rechtsanwalt Martin Benedikt Simon Ahrens geb. Aarons
- Fabrikant Friedrich Ahrens
- Rostocker und Neustrelitzer Arzt Robert Ahrens
- Schweriner Journalist und Schriftsteller David Assur
Bekannte Holocaust-Opfer (9)
- Paul Karl Ernst Ahrens
- Erwin Goldschmidt
- Paul Jacobson
- Willy Jacobson
- Minna Meierstein geb. Rosenthal
- Anna Messias geb. Hesse
- Arthur Rosenthal
- Max Rosenthal
- Ida Salomon geb. Rosenthal
Veröffentlichungen zu den Juden von Grevesmühlen
Publikationen
- Adreßbücher über und für den Gewerbe- und Handelsstand der Großherzogthümer Mecklenburg-Schwerin und Strelitz
- Mercantilisches Addreßbuch der Großherzogthümer Meckl.-Schwerin u. -Strelitz, worin: die Addressen der Magistratspersonen der Städte, der weltlich obrigkeitlichen Beamten der Flecken, der Accise- und Postbeamten, fremden Consuls, Advocaten, Apotheker, Kaufleute, Fabrikanten, Manufacteurs, Buchhändler, Gasthofinhaber und anderer dazu qualificirende Handels- oder industrielle Geschäfte treibende Leute in den Großherzopthümern, wie auch: bei jedem entsprechenden Orte Angabe seiner Wolkszahl, Meilenzeiger, Notizen über Schiffs-, Fuhrgelegenheiten etc.
- Arlt, Klaus / Beyer, Constantin / Ehlers, Ingrid / Etzold, Alfred / Fahning, Kerstin Antje: Zeugnisse jüdischer Kultur. Erinnerungsstätten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen
- Bersch, Falk: Kaufhaus Karseboom: Die Geschichte einer jüdischen Familie
- Borchert, Jürgen / Klose, Detlef: Was blieb... Jüdische Spuren in Mecklenburg
- Buddrus, Michael / Fritzlar, Sigrid: Die Städte Mecklenburgs im Dritten Reich: ein Handbuch zur Stadtentwicklung im Nationalsozialismus, ergänzt durch ein biographisches Lexikon der Bürgermeister, Stadträte und Ratsherren
- Bernert, Heinz: Zur Geschichte der Juden in Grevesmühlen
In: Informationen des Heimatvereins Grevesmühlen e. V., 2. Jg. 1994, Nr. 1 und 2 - Schmidt, Werner: Stammbaum der Familie Friedheim: Goldschmiedemarken: neue Forschungsergebnisse Teil 21
In: Weltkunst: die Zeitschrift für Kunst und Antiquitäten, München, Bd. 68 (1998), H. 15, S. 2839-2841 - Voß, Gerhard: Jüdische Friedhöfe in Mecklenburg – eine Bestandsaufnahme
In: Studienhefte zur Mecklenburgischen Kirchengeschichte, Heft 1 (1993), S. 5-15
Links/Online-Ressourcen
Dokumente mit Bezug zu den Juden von Grevesmühlen
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Beschreibung | Zeitpunkt/Zeitraum | Typ |
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Auszug aller privilegirten Juden und was selbige Laut der, mittelst Herzoglich Verordnung vom 20. Septbr. 1760 Communicirten Specification An Schutz-Geld Zur Herzoglich. Renterey von Anno 1749 bis zum Termino Trinitatis 1760 bezahlet haben, und darauf nach infinuation gedachter Specification, nemlich den 1ten Octobr. 1760 Restiren. | 1749-1760 | Transkript |
General-Verzeichniß der in den Städten des Großherzogthums Mecklenburg Schwerin privilegirten sämmtlichen Schutz-Juden | 3. Januar 1825 | Transkript |