Marlow
Zur jüdischen Geschichte von Marlow
Die kleine Landstadt Marlow gehört heute zwar körperschaftlich zu Vorpommern, war historisch gesehen jedoch immer ein Teil Mecklenburgs. Auch wenn Marlow schon während des Mittelalters über Stadtrecht verfügte, dürften aufgrund seiner geringen wirtschaftlichen Bedeutung und Größe wohl während der Zeit nach der jüdischen Erstbesiedlung Mecklenburgs hier kaum schon jüdische Einwohner ansässig gewesen sein.
Wann sich hier die ersten Schutzjuden nach der jüdischen Wiederbesiedlung Mecklenburgs niederließen, ist nicht genau bekannt, jedoch muss dies etwas später als in den meisten Mecklenburger Landstädten erfolgt sein. Denn der landesweiten Steuerliste vom 1. Oktober 1760 zufolge, die für den gesamten Zeitraum von 1749 bis 1760 alle in Mecklenburg offiziell geduldeten Schutzjuden aufführt, kam in dieser Zeit Marlow zwar als Ansiedlungsort in Frage und ist dort deshalb auch als Ort aufgeführt, allerdings belegt die Liste, dass es in diesem Zeitraum keinen einzigen Schutzjuden hier gab. Damit dürfte nahezu sicher sein, dass die ersten Juden sich erst nach 1760 niederließen. Wie Eleonore Rösel in ihrer Schrift „Jüdisches Leben in Ribnitz und Umgebung“ ausführt, sollen erst um 1798 zwei Schutzjuden mit ihren Familien hier ansässig gewesen sein. Sie vermutete, dass diese an der Südseite des Burgberges gewohnt haben müssen, da die Häuserreihe bis heute „Judenberg“ heißt.
Als mit dem Erlass des Emanzipationsedikts im Jahre 1813 alle Mecklenburger Juden von der Landesregierung dazu aufgefordert wurden, erbliche Familiennamen anzunehmen, meldeten die meisten Mecklenburger Ortsgemeinden Listen der Familiennamen nach Schwerin. Für Marlow ist allerdings nicht einmal die Existenz einer solchen Liste belegt, auch wenn hier zu diesem Zeitpunkt nachweislich Schutzjuden wohnten. Sehr wahrscheinlich ist gar keine Meldung aus Marlow erfolgt, allerdings ist es auch denkbar, dass Namensmeldungen möglicherweise über Ribnitz oder Sülze erfolgten. Allerdings ist in den heute noch bekannten Meldelisten anderer Orte nirgends der Name Behrens eines hier ansässigen Schutzjuden zu finden.
Die wenigen Juden von Marlow dürften ihre Gottesdienste zunächst in Fürstenberg gefeiert haben, wie ein Vorfall aus dem Jahr 1817 belegt. Der vorgenannte Schutzjude Joseph Behrens stritt am 29. August 1817 mit den Fürstenberger Vorstehern Jacob Lychenheim und Samuel Lychenheim, da ihm das Vorlesen aus der Thora bisher verwehrt worden war. Der Ausgang der Streitigkeit ist allerdings nicht überliefert.
Der Schutzjude Joseph Behrens taucht dann auch im Jahre 1825 im Generalverzeichnis der in den Städten des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin privilegierten Schutzjuden auf, allerdings als „inserabel“. Neben ihm gab es damals nur noch zwei weitere offiziell geduldete jüdische Personen mit einem Handelsprivileg: seine geschiedene, namentlich nicht aufgeführte Ehefrau, die Handlung aus offenem Laden betrieb und sein Sohn Wolff Abraham, der offensichtlich einen anderen Familiennamen angenommen hatte als sein Vater.
Die jüdische Bevölkerung von Marlow war stets außerordentlich klein gewesen. Nach der Volkszählung im Jahr 1819 gab es in Marlow genau 29 Personen jüdischen Glaubens. Einer davon war der Lehrer Jonas Kohn aus Berlin, der zu diesem Zeitpunkt seit zwei Jahren in der Gemeinde tätig war. Darunter befanden sich auch Jacob, Samuel und Ziporah Lychenheim aus Fürstenberg, die wohl zeitweise in Marlow wohnten. Wie klein die jüdische Gemeinde in Marlow war, zeigt auch das jüdische Seelenbuch: Im Zeitraum von 1813 bis 1865 sind nur elf Sterbeeinträge, für den Zeitraum von 1813 bis 1873 nur sieben Trauungen und 21 Geburten erfasst. Die Marlower Juden müssen zunächst engere Beziehungen nach Fürstenberg und Ribnitz unterhalten haben. Körperschaftlich waren sie nie eigenständig und gehörten später wohl zu Sülzer Gemeinde. Die Angliederung der Marlower Juden zu Sülze muss erst zwischen 1852 und 1874 erfolgt sein, wie mehrere landesherrliche Quellen belegen. Danach bestand 1852 hier keine jüdische Gemeinde und es wohnten im Übrigen auch nur zwei jüdische Personen hier: der Kaufmann E. Ahrendt, der ein Manufakturwarengeschäft betrieb und ursprünglich aus Sülze stammte, und der Handelsmann L. Bass. Am 30. Oktober 1874 beschwerten sich dann die Sülzer Gemeindevorsteher D. Warburg und I. Löwenthal bei B. Hirsch in Marlow, weil die Marlower Juden den Sülzer Schächter in Anspruch nahmen, jedoch die entsprechenden Gebühren dafür nicht entrichteten. Die Vorsteher drohten sogar mit einer Anzeige, falls nicht innerhalb von acht Tagen gezahlt werden würde. Auch hier ist der Ausgang der Streitigkeit nicht überliefert.
In Marlow gab es nie ein eigenes Bethaus oder eine Synagoge, jedoch verfügten die Marlower Juden zumindest über einen kleinen Friedhof in der Alten Burgstraße, über dessen Entstehung nichts bekannt ist.
Auch wenn die Marlower Judenschaft zu den zahlenmäßig wohl kleinsten im Lande zählte, scheint es hier durchgängig immer jüdische Einwohner gegeben zu haben. Waren um 1810 hier vier jüdische Familien ansässig, stieg deren Zahl im Jahr 1820 bis auf fünf. Allerdings hat es wohl nie über zwanzig jüdische Einwohner gegeben. Der Höchststand dürfte schon um 1812 erreicht worden sein, zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten zumindest noch acht jüdische Einwohner in Marlow. Als am 26. April 1914 die jüdische Gemeinde von Sülze aufgelöst wurde, stellte sich damals offensichtlich nicht die Frage nach dem weiteren Schicksal des jüdischen Friedhofs in Marlow, ein Hinweis darauf, dass er wohl schon kurz nach Beginn des 20. Jahrhunderts nicht mehr genutzt wurde und eingegangen war.
Selbst in Marlow muss es nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten zu Repressalien gegen die wenigen jüdischen Einwohner gekommen sein. Überliefert ist, dass am 4. April 1933 hier eine Boykottkundgebung stattfand, bei der SA-Leute mit antisemitischen Schildern durch die Stadt marschierte. Stadtrat Bußenius forderte dabei die Einwohner auf, nicht bei jüdischen Kaufleuten zu kaufen. Dies muss zumindest die Familie Mielke betroffen haben. Die Ehefrau Lina Mielke geb. Dannenberg hatte mit ihrem nicht-jüdischen Ehemann ein Manufakturgeschäft am „Judenberg“ betrieben, das sie nach seinem Tod allein fortführte. Zum Zeitpunkt der Machtergreifung war ihr Ehemann bereits verstorben, so dass sie nach den Regeln der sogenannten „privilegierten Mischehe“ vor einer Deportation nicht geschützt war. 1935 muss sie Marlow in Richtung Rostock verlassen haben, vermutlich nicht freiwillig. Dort wurde sie am 7. Juni 1944 über Berlin nach Theresienstadt deportiert, überlebte jedoch. Sie kehrte nach Marlow zurück und wohnte hier fortan bei ihren vier Kindern. Sie verstarb in den 1950er Jahren.
(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 20.05.2017)
- Brocke, Michael / Ruthenberg, Eckehart / Schulenburg, Kai Uwe: Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), Institut Kirche und Judentum, Berlin 1994
- Francke, Norbert / Krieger, Bärbel: Die Familiennamen der Juden in Mecklenburg: Mehr als 2000 jüdische Familien aus 53 Orten der Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz im 18. und 19. Jahrhundert. Schriften des Vereins für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern e. V., Verein für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern e.V., Schwerin 2001
- Landeshauptarchiv Schwerin: Rep. 2.12-4/5, Nr. 632, 665, 680 (Judenangelegenheiten); Rep. 2.21-4/4, Mecklenburg-Schwerin (Großherzogtum), Volkszählungsamt, Volkszählung 1819; Rep. 5.12-7/1, Nr. 9092 (Meckl.-Schwerin Ministerium für Unterricht, Kunst, geistliche Angelegenheiten); Rep. 10.72-2, Nr. 73 (Landesrabbinat)
- Rösel, Eleonore: Jüdisches Leben in Ribnitz und Umgebung, Kleine Schriftenreihe Regionalgeschichte, Heft 3, Scheunen-Verlag, Kükenshagen 1996
Jüdische Bevölkerungsentwicklung in Marlow
Familien mit Bezug zu Marlow
Abraham, Ahrend/Ahrendt, Bass, Behrens, Benjamin, Bernhard, Borchardt, Bragenheim, Dannenberg, David, Herzfeld, Hirsch, Kohn, Krohnheim, Lichtenstein, Lychenheim, Michael, Mielke, Müller, Rothenburg, Salomon, Samuel, Saulmann, Stonau, Wertheim, Wolff
Bekannte Holocaust-Opfer (3)
- Irma Borchardt geb. Salomon
- Gertrud Dannenberg
- Alma Lichtenstein geb. Dannenberg
Veröffentlichungen zu den Juden von Marlow
Publikationen
- Adreßbücher über und für den Gewerbe- und Handelsstand der Großherzogthümer Mecklenburg-Schwerin und Strelitz
- Mercantilisches Addreßbuch der Großherzogthümer Meckl.-Schwerin u. -Strelitz, worin: die Addressen der Magistratspersonen der Städte, der weltlich obrigkeitlichen Beamten der Flecken, der Accise- und Postbeamten, fremden Consuls, Advocaten, Apotheker, Kaufleute, Fabrikanten, Manufacteurs, Buchhändler, Gasthofinhaber und anderer dazu qualificirende Handels- oder industrielle Geschäfte treibende Leute in den Großherzopthümern, wie auch: bei jedem entsprechenden Orte Angabe seiner Wolkszahl, Meilenzeiger, Notizen über Schiffs-, Fuhrgelegenheiten etc.
- Buddrus, Michael / Fritzlar, Sigrid: Die Städte Mecklenburgs im Dritten Reich: ein Handbuch zur Stadtentwicklung im Nationalsozialismus, ergänzt durch ein biographisches Lexikon der Bürgermeister, Stadträte und Ratsherren
- Wilhelmus, Wolfgang: Juden in Vorpommern im 19. Jahrhundert
In: Heitmann, Margret / Schoeps, Julius H. (Hrsg.): „Halte fern dem ganzen Lande jedes Verderben ...“: Geschichte und Kultur der Juden in Pommern, Hildesheim/Zürich/New York 1995, S. 99-115
Dokumente mit Bezug zu den Juden von Marlow
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Beschreibung | Zeitpunkt/Zeitraum | Typ |
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Auszug aller privilegirten Juden und was selbige Laut der, mittelst Herzoglich Verordnung vom 20. Septbr. 1760 Communicirten Specification An Schutz-Geld Zur Herzoglich. Renterey von Anno 1749 bis zum Termino Trinitatis 1760 bezahlet haben, und darauf nach infinuation gedachter Specification, nemlich den 1ten Octobr. 1760 Restiren. | 1749-1760 | Transkript |
General-Verzeichniß der in den Städten des Großherzogthums Mecklenburg Schwerin privilegirten sämmtlichen Schutz-Juden | 3. Januar 1825 | Transkript |