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Netzeband

Zur jüdischen Geschichte von Netzeband


Das domaniale Dorf Netzeband in der Nähe von Temnitzquell war ursprünglich neben Rossow und Ahrensberg (später Ortsteil der Stadt Wesenberg) eine von drei Mecklenburgisch-Schwerinschen Exklaven, die ersten Beiden in der Prignitz in Brandenburg, Letztere in Mecklenburg-Strelitz gelegen. Nach Unterstellung unter die Herrschaft Mecklenburg-Schwerins im Jahr 1820 erfolgte die Verwaltung Netzebands durch das Amt Wredenhagen. Bei der Ortschaft handelte es sich um ein ausgesprochen armes Dorf, das erst 1937 in die Mark Brandenburg eingegliedert wurde.

Das Dorf Netzeband dürfte in der Zeit nach der jüdischen Erstbesiedlung Mecklenburgs im 13. Jahrhundert nicht zur Herrschaft Mecklenburg gehört haben, wodurch es hier keine endgültige Vertreibung nach dem Sternberger Hostienschändungsprozess im Jahr 1492 und damit auch keine solch klare Unterteilung der jüdischen Geschichte in zwei Phasen gegeben haben dürfte. Diese verlief hier schon deshalb grundlegend anders. Allein aufgrund der Tatsache, dass es sich stets um ein kleines Dorf handelte, dürfte es während des Mittelalters hier noch keine jüdische Bevölkerung gegeben haben. Es muss dann auch hier nach der Übernahme des Gebiets durch Mecklenburg zur gleichen Zeit wie in den Mecklenburger Städten im frühen 18. Jahrhundert zur ersten jüdischen Ansiedlung gekommen sein. Ob es sich bei dem derzeit ersten bekannten, in Netzeband ansässigen Juden namens Joel Joseph auch gleichzeitig um einen echten Schutzjuden handelte, also dieser mit einem landesherrlichen Privileg ausgestattet war, ist unklar, wie auch seine eigentliche Herkunft. Er wohnte hier allerdings schon vor 1758, wurde der Stammvater der späteren Familie Joel und dürfte später nicht der einzige jüdische Haushaltsvorstand in Netzeband gewesen sein. Zumindest im Jahr 1769 lebte hier auch eine Fradel Hertz, die später einen Meyer Simon aus Rossow heiratete und zu ihm zog.

Zur Exklave Netzeband gehörten neben dem gleichnamigen Ort darüber hinaus noch weitere Dörfer, so unter anderem auch ein Schönberg (nicht zu verwechseln mit der Stadt Schönberg bei Rehna, das ursprünglich Teil des Fürstentums Ratzeburg war). Dort wurde 1755 eine Hanne Levin geboren. Danach gab es mindestens zwei weitere Geburten in diesem Schönberg: 1763 ein Isaac Salomon und 1766 ein Moses Salomon. 1768 lebte hier weiterhin ein Levin Nachmann.

Als mit dem 1813 erlassenen Emanzipationsedikt die Mecklenburger Juden landesherrlich dazu verpflichtet wurden, sich erbliche Familiennamen zu wählen, hatten auch die Mecklenburger Exklaven, obwohl es dort keine echten körperschaftlich organisierte jüdische Gemeinden gab, die zukünftigen Familiennamen nach Schwerin zu melden. Bei Netzeband ist der genaue Zeitpunkt zwar nicht klar, dürfte jedoch vermutlich wie bei Rossow im Jahr 1814 über das Amt Wredenhagen erfolgt sein. Eine Meldeliste im herkömmlichen Sinne ist aus Netzeband allerdings nicht überliefert. Der Landesrabbiner Dr. Siegfried Silberstein, der später die durch einen Brand vernichteten Meldelisten aus anderen Dokumenten rekonstruierte, führte für Netzeband aus, dass die dortigen Geschwister Joel diesen Namen als Familiennamen behalten hätten. Da die Meldungen eigentlich durch die männlichen Familienvorstände zu erfolgen hatten, dürfte der Stammvater Joel Joseph zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben gewesen sein.

Als zur Volkszählung im Jahr 1819 in Rossow noch 33 jüdische Personen ansässig waren, lebten in Netzeband nur fünf jüdische Personen, eben jene Geschwister Joel bestehend aus dem Warenhändler Joseph Joel, die Brüder Salomon und Moses Joel und die Schwestern Babetli und Heile Joel, die alle in Netzeband geboren worden waren.

Ein echte jüdische Gemeinde stellten die Netzebander Juden, ganz im Gegensatz zur Rossower Judenschaft, nie dar. Die jüdischen Personenstandsbücher führte jedoch sowohl für Rossow und Netzeband der Rossower Pfarrer. Schon allein aufgrund der Nähe der Exklaven zueinander müssen enge Beziehungen zwischen diesen jüdischen Gemeinschaften bestanden haben. In Netzeband hat es wohl nie einen jüdischen Friedhof gegeben. Wie sich aus den Sterbelisten von Rossow ergibt, müssen alle Netzebander Juden in Rossow beerdigt worden sein. Hinweise auf ein eigenes Betlokal in Netzeband oder gar eine Synagoge liegen nicht vor und dürften auch bei der stets außerordentlich geringen Anzahl an Juden nicht zu erwarten sein.

Die Familie Joel war bis mindestens 1830 in Netzeband ansässig. Wie einem Erlass des Großherzog Friedrich Franz I. zu entnehmen ist, unterstanden noch im Jahr 1835 neben den Rossower auch die Netzebander Juden der Jurisdiktion des Amtes Wredenhagen, weshalb wohl angenommen werden kann, dass sich damals noch diese jüdische Familie in Netzeband aufhielt. Wann diese Familie den Ort vollständig verlassen hatte und ob es später noch weitere jüdische Familien gab, bedarf weiterer Recherchen. Da die Rossower Gemeinde spätestens ab 1854 aufgelöst wurde und es ab 1858 dort keinen Juden mehr gab, dürften die Joels Netzeband wohl schon weit vor der Auflösung Rossows verlassen haben. Nachkommen der Familie Joel lebten später unter anderem in Hamburg. Einige von ihnen wurden Opfer des Holocaust.

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(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 30.05.2017)
Quellen:

  • http://stolpersteine-hamburg.de/en.php?&LANGUAGE=EN&MAIN_ID=7&p=112&BIO_ID=3830
  • Gesetzessammlung für die Mecklenburg-Schwerinschen Lande, Band 6, Hinstorff Verlag, Parchim/Ludwigslust 1848
  • Landeshauptarchiv Schwerin: Rep. 2.21-4/4, Mecklenburg-Schwerin (Großherzogtum), Volkszählungsamt, Volkszählung 1819; Rep. 10.73-3/3, Nr. 43 (Rossow)
  • Leo Baeck Institute: AR 5020 / MF 1056, Salomon Family of Friesack Collection 1765-1990, Box 1, Folder 1
  • Projekt Juden in Mecklenburg: Gesamtstammbaum der Mecklenburger Juden (GEDCOM)
  • Silberstein, Siegfried: Die Familiennamen der Juden unter besonderer Berücksichtigung der gesetzlichen Festlegung in Mecklenburg, Sonderdruck aus der Festschrift zum 75jährigen Bestehen des Jüdisch-Theologischen Seminars Fraenckelscher Stiftung, II. Band, Th. Schatzky A.-G., Breslau 1929

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