Prof. Dr. Daniel Hendel Sanders
(* 12. November 1819 Strelitz — † 11. März 1897 Strelitz)
Der spätere Sprachforscher, Lexikograf, Dichter und Übersetzer Daniel Sanders wurde am 12. November 1819 in Strelitz (Alt-Strelitz) als Sohn des Strelitzer Schutzjuden und Lederhändlers Hendel Sanders und seiner Ehefrau Amalie geboren. Er hatte einen älteren Bruder namens Alexander.
Zunächst erhielt Sanders Privatunterricht und ging dann von 1827 bis 1832 auf die neu gegründeten jüdische Freischule in Strelitz. Nach dem Abitur am Neustrelitzer Carolinum im Jahr 1839 entschied er sich für ein Studium, zunächst in Berlin, um Lehrer zu werden. Dort belegte er Mathematik, Philosophie und Philologie. In letzterem Fach war er Schüler von Jacob Grimm, einem der beiden berühmten Gebrüder Grimm und dessen Kritiker er später werden sollte. Nach seiner Promotion in Mathematik an der Universität in Halle im Jahre 1842 kehrte Sanders wieder in seine Heimatstadt zurück und wurde Oberlehrer an der jüdische Freischule in Strelitz und dessen Leiter. Er galt schon zu dieser Zeit als talentierter Sprachforscher und verfügte über Kenntnisse der Lateinischen, Hebräischen, Jiddischen, Französischen, Englischen und der Alt- und Neugriechischen Sprache.
Sanders wurde ein Sympathisant und ein geistiger Vertreter der Deutschen Revolution von 1848/49, ein Verfechter demokratischer Ideen und staatsbürgerlicher Rechte im Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz und dabei insbesondere auch der Gleichstellung der Juden. So war er Mitbegründer des Neustrelitzer Reformvereins von 1848 und betätigte sich neben seiner pädagogischen Arbeit als Lehrer auch als Redakteur verschiedener freigeistiger Zeitschriften. Zusammen mit seinem Freund Adolf Glaßbrenner veröffentlichte er gesellschaftskritische Schriften. Die Niederlage der Deutschen Revolution und seine politischen Betätigungen führten dazu, dass die jüdische Freischule in Strelitz wegen demokratischer Umtriebe geschlossen wurde. Einem Ruf als Leiter des jüdischen Realgymnasiums nach Frankfurt/Main folgte er danach nicht.
Seiner Lebensgrundlage zunächst beraubt, betätigte sich Sanders im Anschluss als Privatlehrer und Publizist, widmete sein Leben jedoch der Erforschung und Vermittlung der Deutschen Sprache. Die Idee zu einem Wörterbuch der Deutschen Sprache muss wohl schon lange in ihm geschlummert haben, den Anlass dazu dürfte aber das Deutschen Wörterbuch seines früheren Lehrers Jacob Grimm gegeben haben, das den gesamten neuhochdeutschen Sprachschatz umfassen sollte, 1838 begonnen worden war und dessen erster Band 1854 erschien. Sanders veröffentlichte eine kritische Schrift dazu, die aus sprachwissenschaftlicher Sicht größtenteils zutreffend war, wodurch sich Jacob Grimm aber sogar zu antijüdischen Äußerungen hinreißen ließ. Seine Kritik brachte ihm selbst viel Kritik ein, nicht jeder war jedoch dabei auf Seiten Grimms. Auf das Publikationsangebot des Vertragsbuchhändlers Otto Wiegand begann Sanders dann seine Arbeiten an einem eigenen Wörterbuch, das unter dem Titel „Wörterbuch der deutschen Sprache“ erschien und sich im Gegensatz zu Grimms Werk wesentlich stärker an der aktuell verwendeten Sprache und der Sprachpraxis orientierte. An diesem Werk arbeitete er insgesamt von 1859 bis 1865. Der Lyriker Ferdinand Freiligrath lobte es später als „Denkmal deutschen Geistes“, eine Äußerung, die in der damaligen Zeit bei Juden weder selbstverständlich, noch gesellschaftlich angebracht war und für Sanders eine hohe Ehrung gewesen sein muss.
Lange Zeit war ihm die Anerkennung seiner Arbeit im wissenschaftlichen Bereich jedoch verwehrt geblieben, sicherlich weil schon ein bloßer Angriff eines bis dahin wissenschaftlichen Niemands auf einen der Gebrüder Grimm im Allgemeinen und bei Jacob Grimm als Professor der Philologie und Träger des Preußischen Pour le Mérite für Wissenschaft und Künste im Speziellen per se als unziemlich angesehen wurde. Seine jüdische Herkunft dürfte einen zusätzlichen Grund geliefert haben. Dies änderte sich gegen Ende seines Lebens, nachdem er neben seinem Hauptwerk noch zahlreiche andere sprachwissenschaftliche Bücher zur Deutschen Sprache herausgegeben und welche eine weite Verbreitung und Anerkennung innerhalb der Bevölkerung erreichten hatten. 1876 berief man ihn zum Mitglied der Berliner Konferenz zur Feststellung einer einheitlichen Orthografie. Anfang Juli 1877 verlieh der Großherzog von Mecklenburg-Strelitz Sanders „wegen bester hervorragender Leistungen auf literarischem Gebiete, wodurch er sich einen Namen in der Gelehrtenwelt und dem Land, welchem er angehört, Ehre gemacht hat”, den Titel eines Professors. 1880 erhielt er das Goldene Verdienstkreuz. Zahlreiche literaturwissenschaftliche Publikationen zur Griechischen Sprache führten 1882 dazu, dass ihm der griechische König den Orden des Erlösers verlieh. 1889 bekam er das Ritterkreuz der Wendischen Krone und im gleichen Jahr ernannte ihn auch seine Heimatstadt zum Ehrenbürger.
Sanders’ Ehefrau Ida verstarb am 30. Dezember 1895. Das Ehepaar war Zeit Lebens kinderlos geblieben. Nur zwei Jahre später, am 11. März 1897, verschied auch Prof. Dr. Daniel Sanders in seiner Geburtsstadt. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in Strelitz beigesetzt. Die Trauerrede hielt der Landesrabbiner von Mecklenburg-Strelitz, Dr. Jacob Hamburger. Eine Gedenktafel, die zwei Jahre später an seinem Geburtshaus angebracht worden war, wurde 1933 durch die Nationalsozialisten entfernt. Sein Grabstein überstand jedoch die Zeiten und ist heute dort immer noch zu sehen. Eine Neustrelitzer Grundschule trägt seinen Namen und auch sonst wird hier vielfältig an seine Leistungen erinnert.
(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 04.06.2016)
- https://de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Sanders
- Hamburger Nachrichten, Ausgabe vom 16. Juli 1877
- Leo Baeck Institute New York: AR 7002 / MF 447 / MF 134, Jacob Jacobson Collection, 1660-1958, Friedhofsregister Altstrelitz
- Projekt Juden in Mecklenburg: Gesamtstammbaum der Mecklenburger Juden (GEDCOM)
- Schröder, Frank: 100 jüdische Persönlichkeiten aus Mecklenburg-Vorpommern: ein Begleiter zur Ausstellung des Max-Samuel-Hauses, 22. Mai bis 22. November 2003. Schriften aus dem Max-Samuel-Haus 4, Stiftung Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur in Rostock Max-Samuel-Haus, Rostock 2003