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Marnitz

Zur jüdischen Geschichte von Marnitz


Das in der Nähe von Parchim gelegene Dorf Marnitz verfügt zwar über keine jüdische Geschichte wie die Mecklenburger Landstädte, dennoch gab es spätestens ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts nachweislich zumindest einen Einwohner im Ort, der jüdischer Abstammung war. Vermutlich nach seiner Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg kaufte hier Georg Herz auf Kredit ein Haus und eröffnete darin spätestens 1916 eine kleine Landapotheke. Er stammte ursprünglich aus dem Anhaltinischen Jessnitz und hatte zuvor seine spätere, nicht-jüdische und aus dem Nachbarort Raguhn stammende Ehefrau Margarete kennen gelernt. Gemeinsam hatten sie in Eisleben der Tochter Gisela das Leben geschenkt. Georg Herz hatte sich, vermutlich für die Heirat, taufen lassen und war danach ein eifriger Kirchgänger und Patriot seines Vaterlandes. So gehörte er in Marnitz dem örtlichen Kriegerverein an und unterstützte die nationalen Parteien.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde ihm und seiner Familie das Leben im Ort schwer gemacht. Da seine Apotheke nach nationalsozialistischen Kriterien als jüdische Firma galt, riefen sowohl der Marnitzer Bürgermeister als auch der Parchimer Kreisleiter zum Boykott der Apotheke auf. Wie sich die übrigen Marnitzer dazu verhielten, ist unbekannt, diese Zwangslage traf Herz jedoch tief und ließ ihn seelisch immer mehr verfallen. Im Januar 1936 erreichten die Nationalsozialisten schließlich ihr Ziel: ihm wurde die Konzession entzogen und er erhielt die behördliche Anweisung, die Apotheke zu schließen. Ohne Einkommen konnte er daraufhin die Raten der Hypothek nicht mehr zahlen, was 1938 zur Zwangsversteigerung führte. Käufer war ein „arischer“ Apotheker und NSDAP-Mitglied.

Georg Herz versuchte im Anschluss, eine Stelle als angestellter Apotheker zu finden. Seine Bemühungen wurden aber stets durch die NSDAP unterbunden. Es blieb ihm nichts weiter übrig, als mit seiner Frau und der herzkranken Tochter von Armenfürsorge zu leben und schließlich sogar die Möbel zu veräußern. Nach der „Reichskristallnacht“ am 10. November 1938 wurde er zusammen mit vielen männlichen Mecklenburgern jüdischer Abstammung in sogenannte „Schutzhaft“ genommen und in das Gefängnis nach Alt-Strelitz verbracht, um auch ihn zur Ausreise zu zwingen. Seine Familie blieb aber offensichtlich in Marnitz, denn er verstarb hier 1942. Noch unmittelbar nach seinem Tod demütigte man ihn und seine Hinterbliebenen: Ein Tischler lehnte es ab, seinen Sarg herzustellen und Sargträger weigerten sich, ihn zum Friedhof zu tragen. Noch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ignorierte man das Leid der Familie, als man seiner Witwe den Status einer Verfolgten des Naziregimes versagte.

Umso erstaunlicher erscheint deshalb heute die folgende Aussage in der Geschichtschronik von Marnitz: „Von der immer wachsenden Rüstungsindustrie und der Judenverfolgung im Land ahnte bei uns niemand etwas.“[Geschichte von Marnitz (Teil 21)] Selbst in einer Großstadt dürfte eine solche Behauptung zweifelhaft sein, hier jedoch konnte man nur dann ahnungslos bleiben, wenn man sich bewusst dafür entschieden hatte, geschah das alles mit dem Dorfapotheker doch unmittelbar vor den Augen der Einwohner, die bei ihm jahrelang ihre Medikamente zu holen pflegten.

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(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 13.07.2017)
Quellen:

  • https://www.gemeinde-marnitz.de/seite/246870/geschichte-von-marnitz.html
  • Kasten, Bernd: Ausgegrenzt, verfolgt, ermordet - Christen jüdischer Herkunft in Mecklenburg 1933-1945, Zeitgeschichte regional, Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern, Heft 2/2008, S. 79-88
  • Kasten, Bernd: Verfolgung und Deportation der Juden in Mecklenburg 1938-1945, Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern, Thomas Helms Verlag, Schwerin 2008
  • Projekt Juden in Mecklenburg: Gesamtstammbaum der Mecklenburger Juden (GEDCOM)

Jüdische Bevölkerungsentwicklung in Marnitz


Jüdische Bevölkerungsentwicklung in Marnitz

Familien mit Bezug zu Marnitz


Herz

Veröffentlichungen zu den Juden von Marnitz


Publikationen


  • Kasten, Bernd: Ausgegrenzt, verfolgt, ermordet - Christen jüdischer Herkunft in Mecklenburg 1933-1945
    In: Zeitgeschichte regional, Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern, Heft 2/2008, S. 79-88