Woldegk
Zur jüdischen Geschichte von Woldegk
Der Ort Woldegk erhielt schon früh Stadtrecht und muss auch schon während des Mittelalters eine regionale Bedeutung gehabt haben. Gleichwohl liegen derzeit keinerlei Hinweise auf jüdische Einwohner aus der Zeit nach der jüdischen Erstbesiedlung Mecklenburgs vor. Wann genau sich dann hier die ersten Schutzjuden nach der jüdischen Wiederbesiedlung Mecklenburgs niederließen, liegt zur Zeit noch im Dunkeln. Laut eines Eintrags in den städtischen Akten der Kramerzunft vom 6. Dezember 1765 sollen in diesem Jahr einem Judenknecht namens Abraham Isaac die Waren in Woldegk weggenommen worden, so dass er auf dem Markt nicht hausieren gehen konnte. Der hiesige Bürgermeister wollte sich seinen Angaben zufolge mit dieser Aktion gegen die vielen Juden erwehren. Ein Nachweis für bereits in Woldegk ansässige jüdische Einwohner ist das freilich noch nicht, da jüdische Händler in dieser Zeit häufig von Markt zu Markt ziehen mussten.
Der erste wirkliche Nachweis eines Woldegker Juden, in dem Fall einer Frau, ergibt sich damit erst aus dem Jahr 1807. Nachdem im Jahr 1807 Fürstenberg abgebrannt war, war die Witwe Kaufmann hierher geflüchtet und hatte am 28. Juni 1808 die herzogliche Genehmigung zum Aufenthalt in Woldegk erhalten. Hier heiratete sie den bereits ansässigen und einzigen Schutzjuden Moses Liepmann, welcher kurze Zeit später ebenfalls aktenkundig wurde. Als im Herzogtum Mecklenburg-Schwerin im Jahr 1813 das sogenannte Emanzipationsedikt erlassen wurde, das unter anderem die Annahme erblicher Familiennamen bei den Mecklenburger Juden forderte, schloss sich auch das Herzogtum Mecklenburg-Strelitz dieser Regelung an. Die entsprechende Vorschrift zur Namensannahme in Mecklenburg-Strelitz wurde am 1. Juni 1814 erlassen, die Namensmeldungen wurden dann gesammelt am 31. August 1814 in den Strelitzischen Anzeigen veröffentlicht, so auch die Meldeliste aus Woldegk. Hier wurde jedoch nur ein Familienname angenommen: Eben jener Moses Liepmann übernahm sein bereits verwendetes Patronym Liepmann als Familiennamen. Er scheint auch längere Zeit danach der einzige Schutzjude in Woldegk geblieben zu sein, trieb hier Handel und beschäftigte den Sohn der Witwe Kaufmann als Handlungsdiener.
Auch wenn keine unmittelbaren Niederlassungen weiterer Juden nach 1813 überliefert sind,
muss Woldegk dennoch attraktiv für jüdische Händler gewesen sein.
So erhoben die Alt-Strelitzer Schutzjuden
Itzig Jacob Barsdorf und Israel Wulff Lychenheim
beim Herzog Beschwerde gegen den Magistrat in Woldegk. Sie hatten eine Geldstrafe erhalten,
weil sie außerhalb der Jahrmarktszeit in Woldegk Handel trieben und dabei keine Pässe hatten.
Ein solcher Pass oder Passierschein, der zum Handel offensichtlich erfoderlich gewesen war,
ist aus dem Jahr 1816 erhalten geblieben.
Dem Juden Israel Wulff Lychenheim wurde am 1. Juni 1816 ein Passierschein erteilt,
der außer seinem Namen auch noch Angaben über sein Äußeres enthielt:
25 Jahre alt, 5 Fuß 1 Zoll groß
Haare dunkelbraun
Stirn bedeckt
Augen blau
Mund und Nase gewöhnlich
Bart braun
Kinn rund
Gesicht rund.
1817 bekam die jüdische Bevölkerung von Woldegk Zuwachs. Die Gebrüder Levin Hirschfeld und Julius Lychenheim in Fürstenberg beantragten in diesem Jahr die Niederlassung und Konzession auf Woldegk. Ihr Antrag wurde zwar abgelehnt, aber nach der Intervention der Mutter, die zu dem Zeitpunkt Witwe war, wurde der Bitte am 17. August 1817 schließlich stattgegeben.
Der Sohn der Witwe Kaufmann, Jacob Kaufmann, der in Woldegk geboren, aufgewachsen und bei Moses Liepmann gelernt und als Handlungsdiener gearbeitet hatte, beantragte nun im Januar 1821 ein eigenes Privileg für Woldegk. Obwohl der Bürgermeister von Woldegk ihm ein positives Zeugnis ausstellte, wurde ihm am 25. Februar 1821 die Niederlassung in Woldegk verwehrt. Der kleinen Familie scheint es danach wirtschaftlich nicht gut ergangen sein, denn Moses Liepmann musste 1838 einen Antrag auf Schutzgelderlass stellen. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt.
Wie sich die jüdische Bevölkerung in Woldegk in den folgenden zwanzig Jahren entwickelte, ist unbekannt und bedarf weiterer Nachforschungen. Erst 1860 gibt es nähere Informationen. Am 17. November 1860 beantragte Abraham Löwenhaupt, der 47 Jahre alt und dessen Mutter verstorben war, beim Herzog das Führen eines Karrenschiebers und bat gleichzeitig um Niederlassungserlaubnis in Woldegk. Er muss mit seinem Antrag erfolgreich gewesen sein, denn am 11. November 1869 zeigt er an, dass er nun in Woldegk wohne und vom Hausierhandel lebe, bat aber um Erlaubnis des Hausierhandels auf dem platten Land und Niederlassung in Fürstenberg. Er erhielt die herzogliche Genehmigung und muss Woldegk danach wieder verlassen haben.
Es mag sein, dass in den Folgejahrzehnten sogar zeitweise keine jüdischen Familien ansässig waren. Spätestens gegen Ende des 19. Jahrhunderts gehörten die Woldegker Juden organisatorisch zunächst zur Neubrandenburger Gemeinde. Um 1894 bestand diese aus insgesamt 152 Mitgliedern, wobei 17 aus Friedland und nur zwei aus Woldegk stammten. 1913 sollen die Woldegker Juden dann Mitglieder der Strelitz Gemeinde gewesen sein, bevor sich dann in den 1920er Jahren alle jüdischen Glaubensgenossen von Mecklenburg-Strelitz zu einer Israelitischen Gesamtgemeinde zusammen schlossen.
In Woldegk hat es nie einen eigenen jüdischen Friedhof gegeben. Möglicherweise wurden einige Verstorbene der Woldegker Judenschaft zunächst auf dem jüdischen Friedhof in Neustrelitz bestattet. Spätestens mit Anlegung des jüdischen Friedhofs in Feldberg um 1870 nutzte man fortan die dortige Begräbnisstätte. Eine Synagoge oder ein Bethaus oder -lokal ist für Woldegk nicht bekannt.
Gegen Ende der 1920er Jahre siedelte sich hier eine neue jüdische Familie an. Die Stettinerin Klara Ella Bieber erwarb mit Hilfe ihrer Eltern ein Textilwarengeschäft in der Neutorstraße in Woldegk und heiratete hier 1929 den aus Pyritz stammenden Kaufmann Dagobert Hammerschmidt Das Paar schenkte hier 1931 einer Tochter Rita das Leben. Zu diesem Zeitpunkts sollen die Hammerschmidts die einzige jüdische Familie im Ort gewesen sein. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten machte man ihnen das Leben schwer. Schon zum sogenannten „Judenboykott“ am 1. April 1933 standen wie überall im Lande SA-Leute vor ihrem Geschäft, die die Kunden von Käufen abhielten. Tochter Rita, die noch 1938 eingeschult worden war, musste abseits und allein auf einer Schulbank sitzen. Später wurde ihr wie vielen jüdischen Kindern der Schulbesuch komplett untersagt. Zur „Reichskristallnacht“ am 9. November 1938 soll die Familie bedrängt worden sein. Wie fast alle männlichen Juden wurde auch Dagobert Hammerschmidt am 11. November 1938 in sogenannte „Schutzhaft“ genommen, in das Gefängnis nach Alt-Strelitz gebracht, unter Druck gesetzt und kurze Zeit später mit der Auflage entlassen, das Land schnellstmöglich zu verlassen.
Lange Zeit war das weitere Schicksal der Familie ungeklärt geblieben. Die Stadt Woldegk suchte deshalb seit 2013 unter Federführung der Stadtarchivarin Gunhild Wosny über einen öffentlichen Aufruf nach Nachfahren der Familie Hammerschmidt. In den Folgejahren wurde sie in Israel fündig und es konnte der weitere Weg der Familie geklärt werden. Nach Entlassung aus der „Schutzhaft“ war der Ehemann im August 1939 nach England geflüchtet, hatte jedoch keine Möglichkeit, Ehefrau und Tochter mitzunehmen. Ella und Rita Hammerschmidt, die in Woldegk zurückgeblieben waren, verfügten über keinerlei finanzielle Mittel und mussten in dieser Zeit heimlich von Woldegker Freunden versorgt werden. Beide flüchteten dann im Februar 1940 in die Anonymität Berlins, von wo aus es Ella gelang, einen kleinen Kindertransport zu organisieren, der ihr, ihrer Tochter und 13 fremden Jungen das Leben rettete. Ihre Flucht dauerte fünf Monate und führte über Österreich und Jugoslawien nach Palästina, wohin auch der Ehemann zwischenzeitlich emigriert war. Am ehemaligen Wohnhaus der Hammerschmidts in der Neutorstraße 4 erinnert heute eine Gedenktafel an diese Familie.
(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 19.05.2017)
- Antifaschistisches Jugendbündnis Neubrandenburg: Wider das Vergessen: Jüdisches Leben in Neubrandenburg
- http://www.nordkurier.de/neustrelitz/familie-hammerschmidt-aufgespuert-063592912.html
- Arlt, Klaus / Beyer, Constantin / Ehlers, Ingrid / Etzold, Alfred / Fahning, Kerstin Antje: Zeugnisse jüdischer Kultur. Erinnerungsstätten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, Wichern-Verlag, Berlin 1992
- Brocke, Michael / Ruthenberg, Eckehart / Schulenburg, Kai Uwe: Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), Institut Kirche und Judentum, Berlin 1994
- Einzige jüdische Familie in Woldegk, Woldegker Landbote: Heimatzeitung mit amtlichen Bekanntmachungen, Jahrgang 23, Nr. 07/2013, S. 39-40
- Francke, Norbert / Krieger, Bärbel: Die Familiennamen der Juden in Mecklenburg: Mehr als 2000 jüdische Familien aus 53 Orten der Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz im 18. und 19. Jahrhundert. Schriften des Vereins für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern e. V., Verein für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern e.V., Schwerin 2001
- Francke, Norbert / Krieger, Bärbel: Schutzjuden in Mecklenburg: ihre rechtliche Stellung, ihr Gewerbe, wer sie waren und wo sie lebten. Schriften des Vereins für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern e. V., Verein für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern e.V., Schwerin 2002
- Hofmann, Peter: Jüdisches Leben in Mecklenburg-Strelitz, Steffen Verlag, Friedland/Mecklenburg 2007
- Kasten, Bernd: Verfolgung und Deportation der Juden in Mecklenburg 1938-1945, Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern, Thomas Helms Verlag, Schwerin 2008
- Landeshauptarchiv Schwerin: Rep. 4.11-1, Nr. 20/793 (Woldegk); Rep. 4.11-16, Nr. 80 (Judenangelegenheiten Woldegk)
Jüdische Bevölkerungsentwicklung in Woldegk
Familien mit Bezug zu Woldegk
Aron, Bieber, Hammerschmidt, Jacoby, Kandler, Königsberg, Liepmann, Löwenhaupt, Sommerfeld, Tietz
Bekannte Holocaust-Opfer (1)
- Margarete Weill geb. Sommerfeld
Veröffentlichungen zu den Juden von Woldegk
Publikationen
- Adreßbücher über und für den Gewerbe- und Handelsstand der Großherzogthümer Mecklenburg-Schwerin und Strelitz
- Mercantilisches Addreßbuch der Großherzogthümer Meckl.-Schwerin u. -Strelitz, worin: die Addressen der Magistratspersonen der Städte, der weltlich obrigkeitlichen Beamten der Flecken, der Accise- und Postbeamten, fremden Consuls, Advocaten, Apotheker, Kaufleute, Fabrikanten, Manufacteurs, Buchhändler, Gasthofinhaber und anderer dazu qualificirende Handels- oder industrielle Geschäfte treibende Leute in den Großherzopthümern, wie auch: bei jedem entsprechenden Orte Angabe seiner Wolkszahl, Meilenzeiger, Notizen über Schiffs-, Fuhrgelegenheiten etc.
- Einzige jüdische Familie in Woldegk
In: Woldegker Landbote: Heimatzeitung mit amtlichen Bekanntmachungen, Jahrgang 23, Nr. 07/2013, S. 39-40 - Buddrus, Michael / Fritzlar, Sigrid: Die Städte Mecklenburgs im Dritten Reich: ein Handbuch zur Stadtentwicklung im Nationalsozialismus, ergänzt durch ein biographisches Lexikon der Bürgermeister, Stadträte und Ratsherren
- Kasten, Bernd: Verfolgung und Deportation der Juden in Mecklenburg 1938-1945