Ratzeburg
Zur jüdischen Geschichte von Ratzeburg
Lediglich ein kleiner Teil der Stadt Ratzeburg, nämlich nur der nördliche Teil der Stadtinsel, genauer der Domhof mit dem Ratzeburger Dom, gehörte als Teil des Fürstentums Ratzeburg zu Mecklenburg-Strelitz. Dieser Teil der Stadt war seit dem 15. Jahrhundert im Besitz des Domkapitels und ist 1648 zu Mecklenburg, 1701 zu Mecklenbugr-Strelitz gekommen. Der Rest der Stadt gehörte zum Herzogtum Sachsen-Lauenburg. Bis zum „Groß-Hamburg-Gesetz“ von 1937 lief die Landesgrenze zuletzt zwischen Mecklenburg und Schleswig-Holstein mitten durch Ratzeburg.
Inwieweit Ratzeburg schon im Mittelalter über jüdische Einwohner verfügte, ist ungeklärt. Da das Gebiet von Ratzeburg zu Zeiten des Sternberger_Hostienfrevelprozess_1492 nicht zu Mecklenburg gehörte, dürfte hier damals auch keine vollständige Ausweisung aller Juden erfolgt sein. Allerdings war hier nachweislich seit 1582 durch eine Polizeiverordnung die Ansiedlung von Schutzjuden verboten.
Der erste greifbare Nachweis für einen Juden in Ratzeburg entstammt dem Ratzeburger Domkirchenbuch. Schon im Jahr 1692 ließ sich hier der Jude Jakob aus Königsberg in der Mark Brandenburg taufen. Er blieb nicht der Einzige, denn schon 1704 tat es ihm die Jüdin Rachel Joseph gleich und nahm den christlichen Namen Eleonore Christine an.
Neben den Täuflingen gibt es ab 1718 für Ratzeburg auch Hinweise auf hausierende Juden, die hier auf den Jahrmärkten handelten und dafür ihr Hausiergeld an die städtische Kämmerei zu entrichten hatten. Wie auch im restlichen Mecklenburg versuchte man bald auch hier, das Hausieren generell einzuschränken. So legte eine landesherrliche Order vom 19. November 1721 fest, dass fortan keine Juden in Ratzeburg mehr hausieren gehen sollten. Dafür regelte jedoch wenig später das landesherrliche Edikt vom 9. Juni 1733 den Aufenthalt und den Handel der Juden, so dass möglicherweise schon ab diesem Zeitpunkt zumindest zeitweise ansässige Juden in der Stadt gegeben haben könnte. Am 6. Dezember 1768 wurde eine weitere Verordnung erlassen, die den Hausierhandel reglementierte.
Erst Mitte des 18. Jahrhunderts siedelte sich in Ratzeburg der erste Schutzjude an. Israel David hatte seinen Schutzbrief am 30. Januar 1751 erhalten, ließ sich anschließend mit seinen Kindern in Ratzeburg nieder und handelte mit Ellen-Galanterie-Waren, Kaffee, Tee, Tabak und vielem mehr. Später scheint sich ein weiterer Jude namens Benedix Falcke niedergelassen zu haben. Er wurde jedoch kurze Zeit später der Stadt verwiesen, da er die erforderliche Konzession nicht vorweisen konnte.
Die frühe jüdische Geschichte Ratzeburgs war eng mit der Nachbarstadt Mölln verbunden, wobei sich die beiden Magistrate durchaus nicht immer grün waren. Insbesondere versuchte die Stadt Ratzeburg schon bei Israel David ihn gegen einen jüdischen Konkurrenten namens Ascher Meyer zu beschützen. Dieser lebte zwar in Altona, betrieb aber in Mölln seinen Handel und brachte Israel David wohl in Bedrängnis. Der Schutzbrief Israel Davids war ursprünglich nur für zehn Jahre erteilt worden. 1763 wurde ihm dieser verlängert und galt sogar neben Ratzeburg auch für Mölln. Israel David scheint 1766 in Konkurs geraten zu sein und verließ vermutlich die Stadt, denn in den Kämmereirechnungen von 1773 und 1774 sind keine Schutzgeldeinnahmen ersichtlich.
Wie eine Kämmereirechnung von 1775 belegt, durfte sich in diesem Jahr der Schutzjude Süßmann Heine ansiedeln. Er verstarb jedoch schon um 1800. Seine Witwe ermöglichte dann jedoch durch eine erneute Heirat dem Kaufmann Abraham Samuel Hollander (Holländer) seine Ansiedlung. Er blieb zumindest bis 1807 hier. Levi Heine, der Sohn aus erster Ehe, erhielt dann 1806 einen eigenen Schutzbrief und führte zusammen mit seinem Bruder Michel den Handel seines Vaters fort. Diese Familien blieben lange Zeit in Ratzeburg. Nach dem Tod Levi Heines übernahm August Samuel Bentheim aus Dömitz als zukünftiger Bräutigam der Schwester Johanna Heine am 28. März 1849 den Schutzbrief. Er betrieb dann einen Manufakturhandel. 1871 wurde Bentheim zum Stadtverordneten gewählt, von 1876 bis 1879 sogar zum Senator.
Im Jahr 1827 erscheint dann der Schutzjude Amsel Philipp in Ratzeburg. Sein Sohn Tobias Philipp blieb nach einer durch den Magistrat verweigerten Glashandwerkslehre ebenso als Kaufmann in Ratzeburg. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebte in Ratzeburg auch Levi David Rosenberg aus Krakow am See und war als Handelsgehilfe beim Kaufmann Bentheim angestellt gewesen. Er gründete im November 1872 in der Domstraße 136 (heute Domstraße 8) eine eigene Tuch-, Manufaktur- und Leinen-Handlung und legte damit den Grundstein für das spätere bekannte Textilkaufhaus Rosenberg. Nach seinem Tod 1897 übernahm die Witwe Fanny das Geschäft, welches nach ihrem Tod 1911 durch deren Sohn Willy weitergeführt wurde. Seine spätere Ehefrau eröffnete dort zusätzlich ein Damenhutgeschäft.
Wann und in welcher Form die Ratzeburger Juden ihre späteren erblichen Familiennamen angenommen haben, ist derzeit unklar. Als in Mecklenburg-Schwerin am 22. Februar 1813 das sogenannte Emanzipationsedikt und damit auch die Forderung nach der Annahme erblicher Familiennamen bei den Mecklenburger Juden Geltung erlangte, schloss sich dem kurze Zeit später auch Mecklenburg-Strelitz an. Da Ratzeburg in dieser Zeit zu Mecklenburg-Strelitz gehörte, hätte auch die Namensliste von Ratzeburg 1814 im Strelitzischen Anzeiger veröffentlicht werden müssen. Diese ist dort jedoch nicht erwähnt. Zumindest die Familien Heine und Hollander scheinen schon vor der offiziellen Namensannahme erbliche Familiennamen geführt zu haben. Spätestens ab 1827 führten jedoch auch diejenigen Ratzeburger Juden feste Familiennamen, die bisher noch über keinen verfügten.
Ein Synagoge oder ein jüdischer Friedhof haben hier nie existiert. Die Toten der wenigen Ratzebuger dürften auf dem jüdischen Friedhof in Lübeck-Moisling bestattet worden sein.
Zur Machtergreifung der Nationalsozialisten lebten hier zumindest drei jüdische Familien, die Schwestern Philipp, die Rosenbergs und die Levys. Letztere waren erst um 1930 zugezogen und hatten in der Langenbrücker Straße 7 einen Gebrauchtwarenhandel eröffnet. Was in der Stadt zum sogenannten „Judenboykott“ am 1. April 1933 geschah, ist unbekannt, allerdings ist es kaum vorstellbar, dass die beiden Geschäfte der jüdischen Familien Rosenberg und Levy unbehelligt blieben. Die Familie Levy blieb bis 1936 in Ratzeburg, zogen dann nach Altona um, von wo ihnen die Flucht ins Ausland gelang. Familie Rosenberg versuchte trotz der Widrigkeiten weiterhin in Ratzeburg zu bleiben. 1938 wurde jedoch das Kaufhaus Rosenberg zwangsweise geschlossen, später enteignet. Willy und Martha Rosenberg wurden am 4. Dezember 1941 nach Riga deportiert und kehrten nie zurück. Einziger Überlebender der Familie war der Sohn Walter. Er erhielt 1954 das elterliche Kaufhaus zurück, das er wiedereröffnet und viele Jahrzehnte betrieb. Die Schwestern Philipp wurden in das Konzentrationslager Ravensbrück verbracht, überlebten jedoch.
Die jüdische Geschichte Ratzeburgs ist dank des 1996 erschienenen Artikels „Zur Geschichte der Juden in Ratzeburg und Mölln“ von Christian Lopau in der Laubenburgischen Heimat recht gut erforscht. Zahlreiche, hier aufgeführte Fakten sind seiner Ausarbeitung zu verdanken. Einige Stolpersteine bzw. Gedenkplatten in der Stadt erinnern heute an die Schicksale ihrer jüdischen Einwohner während des Nationalsozialismus.
(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 30.06.2017)
- Landeshauptarchiv Schwerin: Rep. 2.12.-4/5, Nr. 241, 632, 665 (Judenangelegenheiten)
- Lopau, Christian: Zur Geschichte der Juden in Ratzeburg und Mölln, Heimatbund und Geschichtsverein Herzogtum Lauenburg e. V. (Hrsg.): Lauenburgische Heimat, Heft 143, Ratzeburg 1996, S. 38-64
- Stadtarchiv Ratzeburg (Lopau, Christian): Auskunft vom 24. Mai 2017
Familien mit Bezug zu Ratzeburg
Ahrens, Bentheim, David, Dinklage, Frensdorff, Goldschmidt, Graaf, Heine/Heyne, Hertz, Hinrichs, Hollander/Holländer, Krull, Levy, Nathan, Philipp, Rosenberg, Salomon
Bekannte Holocaust-Opfer (5)
- Anna Raaz geb. Borchardt
- Martha Rosenberg geb. Schulenklopper
- Willy Rosenberg
- Herbert Joseph Rosenberg
- Jenny Salomon geb. Rosenberg
Stolpersteine: 1
- Lübecker Straße 19
- Ida Raaz geb. Borchardt
Veröffentlichungen zu den Juden von Ratzeburg
Publikationen
- Lopau, Christian: Zur Geschichte der Juden in Ratzeburg und Mölln
In: Heimatbund und Geschichtsverein Herzogtum Lauenburg e. V. (Hrsg.): Lauenburgische Heimat, Heft 143, Ratzeburg 1996, S. 38-64