Twitter Facebook Google LinkedIn Pinterest Tumblr Digg Email

Wesenberg

Zur jüdischen Geschichte von Wesenberg


Über eine jüdische Bevölkerung in Wesenberg in der Zeit nach der jüdischen Erstbesiedlung Mecklenburgs ist derzeit nichts bekannt. Jüdische Einwohner scheint es hier daher erst in der Phase nach der jüdischen Wiederbesiedlung Mecklenburgs gegeben zu haben. Der genaue Zeitpunkt, wann sich hier die ersten Schutzjuden niederlassen durften, ist ebenso unbekannt. Auch wenn die ersten gesicherten Nachweise erst aus dem Jahr 1798 stammen, dürften hier schon in den Jahren zuvor Schutzjuden ansässig gewesen sein. So beantragte am 3. Januar 1798 der bereits in Wesenberg ansässige Simon Abraham einen Schutzbrief für seinen zukünftigen Schwiegersohn zwecks Niederlassung in Wesenberg oder Strelitz. Wie er dort ausführte, war sein Vater „der alte Jude Abraham“ gewesen, der zunächst in Mirow und später in Neustrelitz gewohnt hatte und in England verstorben war. Seine Tochter diente beim Seidenfabrikanten David Friedländer in Berlin, dessen dortiger Buchhalter Jacob Meyer nun diese Tochter heiraten wollte und wohl eine gute Partie war, da dessen Vater angeblich Inhaber einer Gerberei in Aurich war. Auf Nachfrage zum Leumund des zukünftigen Schwiegersohnes teilt die jüdische Gemeinde in Berlin mit, das Jacob Meyer nur Lotterie Collecteur sei. Jacob Meyer erhielt zwar sein Privileg auf Wesenberg, sein Antrag auf Baugenehmigung einer Lederfabrik wurde jedoch abgelehnt.

Als im 18. Jahrhundert Teile der Stadt Fürstenberg durch einen Stadtbrand vernichtet worden waren, durften sich mindestens acht jüdische Familien mit 31 Personen mit herzoglicher Genehmigung für eine begrenzte Zeit in Wesenberg niederlassen. Laut der Liste der nach dem Brand aufgenommenen Juden in Wesenberg vom 19. Februar 1798 handelte es sich dabei um Levin Michel mit Frau und drei Kindern, den ledigen Schulhalter Jacob Jonas, einen Moses Jacob sen. mit Frau und sieben Kindern, einen Moses Jacob jun. mit Frau und einem Kind, Levin Jacob jun. mit Frau und einem Kind, Joseph Simon mit Frau, Mendel Caspar Moses mit Frau und einem Kind und Abraham Levin mit Frau und drei Kindern. Diese Familien müssen Not gelitten haben, denn in einem späteren Schreiben baten die Haushaltsvorstände um Erlass des Schutzgeldes, da sie über keinerlei Einkünfte verfügten. Alle Juden erklärten damals auch zu Protokoll, dass sie nach dem Wiederaufbau der Häuser nach Fürstenberg zurückkehren wollten.

1799 wird nochmals der gerade erst zugezogene Schutzjude Jacob Meyer aktenkundig. Ein weiterer Wesenberger Schutzjude, Philipp Jochim, beschwerte sich, weil die Hochzeit von Jacob Meyer und der Tochter des Simon Abraham in der Karwoche stattfinden sollte. Der Herzog verbot mit Schreiben vom 13. März 1799 daraufhin die Heirat in dieser Zeit mit der Begründung, dass auch christliche Untertanen in der Zeit nicht heiraten dürften.

Ein weiterer Wesenberger Schutzjude wird dann erst im Jahr 1807 aktenkundig. Am 23. Jan 1807 richtete ein Joseph Wulff sein Gesuch um einen Schutzbrief an den Herzog. Er stammte aus Lissa und hatte zuvor schon in verschiedenen Orten als Handlungsknecht gedient, so war er für 1,5 Jahre bei Jacob Abraham in Alt-Strelitz tätig und die letzten sechs Jahre bei Simon Abraham. Er erhielt am 4. Februar 1807 sein Privileg auf Wesenberg zum kleinen Handel. Der Herzog hatte zuvor den Magistrat der Stadt aufgefordert, sich zu seinem Gesuch zu äußern. Hier hatten die Schutzjuden von Alt-Strelitz die Ablehnung des Gesuchs gefordert, da es ihrer Ansicht nach bereits genügend Händler in der Stadt gebe. Der Herzog kam ihrer Bitte zwar nicht nach, versprach ihnen aber, die Bedenken und Einwände in Zukunft zu berücksichtigen.

Als der Herzog Friedrich Franz von Mecklenburg-Schwerin am 22. Februar 1813 das sogenannte Emanzipationsedikt erließ, mit dem die dortigen Juden rechtlich nahezu gleichgestellt wurden, war damit auch die Forderung nach der Annahme erblicher Familiennamen bei den Mecklenburger Juden verbunden gewesen. Das Herzogtum übernahm 1814 die Regelungen des Emanzipationsedikts und erließ am 1. Juni 1814 eine ähnliche Vorschrift zur Namensannahme in Mecklenburg-Strelitz. Anders als in Mecklenburg-Schwerin wurden hier die Namensmeldelisten der Orte gemeinsam am 31. August 1814 in den Strelitzischen Anzeigen veröffentlicht. Aus Wesenberg wurden dabei nur zwei Familiennamen gemeldet: der Schutzjude Joseph Wolf nahm den Familiennamen Sachs an, Schutzjude Simon Abraham den Namen Simon.

Aus den Folgejahren sind dann nur noch spärliche Quellen in Beztug auf die jüdischen Einwohner überliefert. Am 12. Januar 1819 schrieb der Schutzjude Simon Abraham Simon an den Herzog, er sei nun 71 Jahre alt und seine Tochter mit Ruben Rudolph Hinrichsen aus Schwerin verlobt. Er bat deshalb um ein Privileg für seinen zukünftigen Schwiegersohn in Wesenberg für ein Handlungsgeschäft. Hinrichsen war zuvor ein Jahr in Malchin bei Isaac Engel als Commis tätig gewesen. Der Bürgermeister von Waren hatte ihm am 16. Januar 1819 ein tadelloses Zeugnis ausgestellt, wonach er drei Jahre in Waren als Handlungsknecht und als Sprachlehrer tätig gewesen war. Am 24. Februar 1819 erhielt er die Konzession zum Aufenthalt in Wesenberg und zum kleinen Handel, wofür er drei Reichstaler Recognitionsgeld zu zahlen hatte. Die kleine Familie blieb allerdings nicht lange in Wesenberg. Am 2. April 1830 beantragt Hinrichsen den Erlass des Schutzgeldes, da er in Waren mittlerweile eine Schule errichtet hatte.

Am 12. November 1823 bat der Schutzjude Wolff Sachs in Wesenburg um die Erlaubnis zum Kauf eines Hauses. Das Gesuch wurd mit der Begründung abgelehnt, dass es nur Christen gestattet sei, Häuser zu besitzen. Gleiches beantragte im April 1832 der Schutzjude Meyer Heine, ohne dass der Ausgang des Antrags überliefert ist. Die derzeit letzte aus dem 19. Jahrhundert überlieferte Quelle belegt dann, dass Joseph Wulff Sachs am 2. Oktober 1838 in Wesenberg verstarb und drei Söhne hinterließ. Einer der Söhne, nun 25 Jahre alt, hatte das Geschäft seines Vaters weitergeführt, wollte sein Handeln nun legalisieren und bat deshalb am 19. März 1841 um eine Konzession, da er als einziger von den drei Brüdern das Kürschnerhandwerk gelernt habe. In einer Stellungnahme des Magistrats von Wesenberg und Mirow wurde seine Niederlassung abgelehnt. Der Herzog kam der Empfehlung nach und versagte ihm die Konzession. Das weitere Schicksal der Familie ist unbekannt.

Die weitere jüdische Geschichte Wesenbergs bis weit nach Beginn des 20. Jahhunderts bedarf noch Nachforschungen. In Wesenberg hat es nie einen eigenen jüdischen Friedhof gegeben. Auch über ein angemietetes Betlokal oder eine Synagoge ist nichts bekannt.

Die jüdische Bevölkerung von Wesenberg war stets außerordentlich gering und erreichte mit Ausnahme der wenigen Jahre nach 1798, als hier zeitweise auch Fürstenberger Schutzjudenfamilien ansässig waren, nie mehr als zehn Personen. Dennoch lebten hier zur Machtergreifung der Nationalsozialisten mindestens zwei Einwohner, die nach den damals geltenden Gesetzen als Juden eingestuft wurden: Ephraim Schulmann und Berta Zimmermann. Nach der „Reichskristallnacht“ am 14. November 1938 wurde Ersterer in sogenannte Schutzhaft“ genommen und in das Gefängnis nach Alt-Strelitz gebracht. Nach seiner Entlassung verließ er gezwungenermaßen die Stadt. Sein weiteres Schicksal ist zur Zeit unbekannt.

In Wesenberg gab es eine in der Holzbranche erfolgreiche Firma, der Dampfsägebetrieb und die Sperrholzfabrik Böttcher & Ahrens, deren zweiter Teilhaber Friedrich Ahrens getauft war, aber einer ursprünglich jüdischen Familie aus Grevesmühlen entstammte. Seine Familie wohnte jedoch in Rostock. Durch das spätere Ausscheiden des Teilhabers Böttcher galt die Firma 1938 als „jüdisch“ und wurde im Dezember des Jahres „zwangsarisiert“ und die Familie enteignet.

1939 lebte nur noch die in einer „privilegierten Mischehe“ lebende Berta Zimmermann in Wesenberg. Sie überlebte die Zeit des Nationalsozialismus und verstarb im Jahr 1962 in Wesenberg.

-----
(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 20.05.2017)
Quellen:

  • Email eines Nachkommen der Bertha Zimmermann vom 3. Mai 2020
  • Francke, Norbert / Krieger, Bärbel: Die Familiennamen der Juden in Mecklenburg: Mehr als 2000 jüdische Familien aus 53 Orten der Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz im 18. und 19. Jahrhundert. Schriften des Vereins für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern e. V., Verein für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern e.V., Schwerin 2001
  • Hofmann, Peter: Jüdisches Leben in Mecklenburg-Strelitz, Steffen Verlag, Friedland/Mecklenburg 2007
  • Kasten, Bernd: Verfolgung und Deportation der Juden in Mecklenburg 1938-1945, Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern, Thomas Helms Verlag, Schwerin 2008
  • Landeshauptarchiv Schwerin: Rep. 4.11-16, Nr. 79 (Judenangelegenheiten Mecklenburg-Strelitz)

Jüdische Bevölkerungsentwicklung in Wesenberg


Jüdische Bevölkerungsentwicklung in Wesenberg

Familien mit Bezug zu Wesenberg


Ahrens, Cohn, Gottschalk, Heine, Hinrichsen, Levin, Michael, Sachs, Schulmann, Simon, Zimmermann, Zossen/Zossenheim

Persönlichkeiten


Veröffentlichungen zu den Juden von Wesenberg


Publikationen


  • Adreßbücher über und für den Gewerbe- und Handelsstand der Großherzogthümer Mecklenburg-Schwerin und Strelitz
  • Mercantilisches Addreßbuch der Großherzogthümer Meckl.-Schwerin u. -Strelitz, worin: die Addressen der Magistratspersonen der Städte, der weltlich obrigkeitlichen Beamten der Flecken, der Accise- und Postbeamten, fremden Consuls, Advocaten, Apotheker, Kaufleute, Fabrikanten, Manufacteurs, Buchhändler, Gasthofinhaber und anderer dazu qualificirende Handels- oder industrielle Geschäfte treibende Leute in den Großherzopthümern, wie auch: bei jedem entsprechenden Orte Angabe seiner Wolkszahl, Meilenzeiger, Notizen über Schiffs-, Fuhrgelegenheiten etc.
  • Buddrus, Michael / Fritzlar, Sigrid: Die Städte Mecklenburgs im Dritten Reich: ein Handbuch zur Stadtentwicklung im Nationalsozialismus, ergänzt durch ein biographisches Lexikon der Bürgermeister, Stadträte und Ratsherren
  • Kasten, Bernd: Verfolgung und Deportation der Juden in Mecklenburg 1938-1945