Kühlungsborn

Zur jüdischen Geschichte von Kühlungsborn


Die heutige Stadt Kühlungsborn entstand erst nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 1. April 1938 durch die vorherige Vereinigung dreier Orte: der Gemeinden Brunshaupten und Arendsee sowie des Dorfes Fulgen. Zu diesem Zeitpunkt war die jüdische Geschichte der Stadt bzw. der Vorgängerorte Arendsee und Brunshaupten bereits nahezu beendet und getilgt.

Da die Vorgängerorte keine Städte waren und zunächst auch keine wirtschaftliche Bedeutung hatten, verlief die jüdische Geschichte hier gänzlich anders und begann nicht typischerweise bereits im 18. Jahrhundert mit der Sesshaftwerdung von Schutzjuden nach der jüdischen Wiederbesiedlung Mecklenburgs.

Mit dem Aufkommen der Bäderkultur an der Ostsee im 19. Jahrhundert bemühten sich auch die drei Gründungsorte darum, von diesem Trend zu profitieren. Besonders erfolgreich scheint dabei Arendsee gewesen zu sein, das einen guten Ruf als Ostseebad erlangte und so vor allem reichere Kundschaft aus den Großstädten hierher locken konnte. Dies führte dazu, dass sich vor allem in Arendsee die begüterten Besucher teilweise auch dauerhafte Sommerresidenzen schufen. Spätestens ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kamen mit diesen Sommerfrischlern auch Deutsche jüdischer Konfession nach Arendsee und ließen sich hier zeitweise oder dauerhaft nieder. Wie historische Postkarten belegen, wurde das Ostseebad Arendsee gegen Ende des Jahrhunderts unter deutschen Juden derart beliebt, dass es von ihnen sogar scherzhaft mit „Aronsee“ betitelt wurde. Es wird vermutet, dass dies auch der Grund für die spätere Umbenennung des Ortszusammenschlusses durch die Nationalsozialisten war, denen insbesondere das „Judenbad“ Arendsee ein Dorn im Auge gewesen ist. Die neuen Machthaber ließen es sich deshalb nicht nehmen, schon früh an den Stränden ein Badeverbot für alle Juden auszusprechen und entsprechende Hinweisschilder aufzustellen.

Nicht wenige der jüdischen Besucher und späteren Einwohner kamen nicht aus Mecklenburg und gehörten schon deshalb keiner Mecklenburger Gemeinde an. Die jüdischen Einwohner stellten deshalb nie eine gemeinsam handelnde Judenschaft oder gar eine eigene körperschaftliche Gemeinde dar. Aus diesem Grund hat es auch nie einen jüdischen Friedhof oder eine Synagoge in den Vorgängerorten Arendsee oder Brunshaupten gegeben.

Es liegen derzeit nur bruchstückhafte Informationen zu den jüdischen Einwohnern des späteren Kühlungsborns vor. Der im Moment früheste Nachweis für jüdische Einwohner in Arendsee ist die Geburt einer Anna Steffens im Jahr 1888.

Zu dieser Zeit müssen wohl unter den Arendseern Besuchern auch schon das wohlsituierte Berliner Ehepaar Hausmann gewesen sein. Der Rechtsanwalt, Notar und Justizrat Wilhelm Hausmann stammte ursprünglich aus Ratibor und hatte sich in Berlin eine gut gehende Kanzlei aufgebaut. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Margarete geb. Frank muss er sich spätestens zur Jahrhundertwende entschlossen haben, den Lebensabend in Arendsee verbringen zu wollen, denn schon 1901 hatte er nachweislich eine Bauerlaubnisse zur Umzäunung eines Grundstücks in Arendsee erhalten. 1909 wurde auch die Baugenehmigung zur Errichtung einer Villa erteilt, die dann in den Jahren 1910 bis 1912 an zentraler Stelle und nahe der Uferpromenade vom Mecklenburger Architekt Alfred Krause im neobarocken Stil inklusive eines Parks zur Seeseite hin errichtet wurde. Das Paar zog danach dauerhaft nach Arendsee, doch viel Zeit blieb ihnen nicht mehr, ihren Ruhestand zu genießen. Beide verstarben hier, Wilhelm Hausmann 1921, seine Ehefrau Margarete 1929. Da das Paar kinderlos geblieben war, vermachte Margarete das Haus der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin, allerdings unter der Auflage, darin ein Erholungsheim für Akademiker jüdischer Konfession, ihre Angehörigen und Witwen zu betreiben. Die Hochschule kam der Auflage nach und gründete die Akademische Gesellschaft Hausmann-Stiftung Arendsee, die am 28. Juni 1931 durch den bekannten Berliner Rabbiner Leo Baeck eröffnet wurde. Das Erholungsheim wurde durch die Sanitätsrätin Dr. Herta Marcuse geleitet, die es noch um die nahe gelegene Villa Horn erweiterte, um dem Ansturm der Besucher beizukommen. Aufgrund der bald aufkommenden politischen Verhältnisse blieb die Hausmann-Stiftung nicht lange Nutznießer des Gebäudes. Schon in der Nacht vom 20. zum 21. Juli 1935 wurden die Fensterscheiben des von den Nationalsozialisten als „Judenschloss“ betitelten Hauses eingeworfen. Die Hausmann-Stiftung wurde 1935 behördlich geschlossen und 1937 „arisiert“. Das Haus wurde im Anschluss von der „Goebbels-Stiftung für Bühnenschaffende“ Berlin genutzt. Noch mindestens eine weitere jüdische Stiftung, die Hermann und Johanna Abraham-Stiftung, wurde in Arendsee „arisiert“, über die allerdings noch wenig bekannt ist.

Für Arendsee sind noch zwei weitere Geburten jüdischer Einwohner belegt: Günther Renner 1921 und Dieter Renner 1923. Ersterer verzog später nach Rostock, Letzterer zunächst nach Lübtheen, dann jedoch auch nach Rostock.

Für Brunshaupten stammen die frühesten Nachweise jüdischer Einwohner zwar erst aus der Zeit nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, doch auch hier muss es schon zuvor jüdische Familien gegeben haben. Nach ihrer Hochzeit im Jahr 1933 ließen sich in Brundhaupten der aus Ribnitz stammende Rechtsanwalt Dr. jur. Max Lichenheim mit seiner aus Anklam stammenden Ehefrau Margarete geb. Lindenberg nieder. Die Anwaltskanzlei, die Max hier eröffnete, musste er noch im gleichen Jahr schließen. Das Paar zog zunächst zurück nach Rostock, wo Max mehr schlecht als recht versuchte, seinen Lebensunterhalt mit einem Briefmarkenhandel zu bestreiten. Nachdem er wie viele andere jüdische Männer aus Mecklenburg auch 1938 in „Schutzhaft“ genommen und so zur Ausreise gezwungen worden war, gelang dem Ehepaar 1939 die Flucht über Shanghai in die USA.

Im Gegensatz dazu war die in Brunshaupten lebende und aus einer jüdischen Familie stammende Selma Tauchert geb. Löwenberg zunächst vor den üblichen Repressalien geschützt, da sie in einer sogenannten „privilegierten Mischehe“ mit einem Nicht-Juden lebte. Spätestens 1935 geriet sie dann jedoch in Gefahr, da dieser Schutz durch den Tod ihres Ehemannes nun weg fiel. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt.

Einzig die ehemalige Villa Hausmann, heute als „Villa Baltic“ bekannt, erinnert indirekt noch an die ehemaligen jüdischen Einwohner von Brunshaupten, Arendsee und Kühlungsborn.

-----
(Gramenz, Jürgen / Ulmer, Sylvia - 07.06.2017)
Quellen:

Familien mit Bezug zu Kühlungsborn


Hausmann, Landau, Lichenheim, Lindenberg, Löwenberg, Marcuse, Müller, Renner, Steffens, Steffens, Süsskind, Tauchert

Veröffentlichungen zu den Juden von Kühlungsborn


Publikationen


  • Bajohr, Frank: Bürgerliche Lebenswelt und Bäder-Antisemitismus an der Ostseeküste Mecklenburgs und Vorpommerns
    In: Zeitgeschichte regional, Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern, Heft 1/2007, S. 7-15
  • Buddrus, Michael / Fritzlar, Sigrid: Die Städte Mecklenburgs im Dritten Reich: ein Handbuch zur Stadtentwicklung im Nationalsozialismus, ergänzt durch ein biographisches Lexikon der Bürgermeister, Stadträte und Ratsherren